Kunst in 0711

0711 ist die Telefonvorwahl von Stuttgart und gleichzeitig ein Markenbegriff für die Stadt. Dass für mich das Kulturleben ein Teil der Marke Stuttgarts ist, hat sich mal wieder am Besuch der Staatsgalerie gezeigt. Es geht dabei um Details mit eindrücklicher Wirkung wie frisch-grüner Noppenboden, gruftartig-spirituelle Räume in satt-dunklem Grau, bühnenhafte Inszenierung von Ballettkostümen, unendlichem Sichversenken in ledernen Sesseln.

Fangen wir sachlich an: Im Jahr 1843 wurde das erste Gebäude der Staatsgalerie fertiggestellt, das der König von Württemberg zur Beherbergung der Gemäldesammlung und der Kunstschule in Auftrag gegeben hatte. Woran ich mich immer wieder erfreue, ist der Anblick des Neubaus von James Stirling aus dem Jahre 1984. Die Wandfronten bestehen aus großen, sandfarbenen Steinblöcken und erzeugen bei mir die Wahrnehmung einer zwar harten aber warmen Außenhaut. Am Eingangsbereich wird die Wand durch ein Fensterfassade in Wellenform durchbrochen, die durch frisch-grüne Stahlträger gegliedert wird. Auf dem terrassiertem Gelände befinden sich noch weitere Elemente, deren Material stahlartig ist – in rot, blau und pink – und aus einer industriellen Produktion zu kommen scheinen, wie die Geländer oder das Dach vor den Eingangstüren. Im Empfangsbereich begrüßt dann der Noppenboden wieder im frischen Grün, der mich im besten Sinne an Legosteine erinnert. Zusammen ist das als herausragendes postmodernes Beispiel in den Architekturkanon eingegangen.

Vor ein paar Jahren war die Sammlungspräsentation noch enthistorisiert, sodass mittelalterliche Altäre neben abstrakter Nachkriegskunst zu hängen kamen. Aktuell wird wieder chronologisch durch die Sammlung geführt – und zwar vom 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Die Hängung ist aus meiner Sicht optimal, was das Verhältnis der Größe der Bilder zur ihrer Menge im Raum angeht  – also keine überhäufte Hängung von Riesengemälden à la Louvre. Und damit ergibt sich die Basis für viele der besten – das heißt stimmigen – Eindrücke von Kunstwerken in Museumsräumen, die ich je hatte.

Wenn man den Rundgang am Berührungspunkt des alten und neuen Baukörpers beginnt – wieder eine in grüne Stahlträger gefasste Glasfassade – dann trifft man zuerst auf eine Serie von Rückenakten von Matisse: Bronzeplatten, die durch unterschiedliche Abstraktionsgrade das bildhauerische Entstehen (oder Verschwinden) eines Rückenreliefs zeigen. An diesem Punkt empfehle ich tatsächlich chronologisch vorzugehen. Dann nimmt man den symbolisch nachzuvollziehenden Weg aus Räumen des ausgehenden Mittelalters in dunkler Wandfarbe und dezent beleuchtet gehalten in die weißwandigen Räume der Gegenwart im postmodernen Bauteil des Museums. Aber qualitativ beschreibt dieser Gang keinen Fortschritt, denn außergewöhnlich gute Eindrücke bestehen in jedem Epochenabschnitt. Denn sprach ich gerade von dunkler Wandfarbe im altdeutschen Teil des Erdgeschosses, so meine ich ein satt-dunkles Grau, das mit der dezenten Beleuchtung eine sakrale Atmosphäre erzeugt: nicht monumental-kathedralenhaft, sondern eher gruftartig-spirituell und dabei großartig durch die Perspektive der nacheinander folgenden Räume, was ich als eine unaufdringlich gute Art der Präsentation von mittelalterlich-sakraler Kunst empfinde.

Auf Ungewöhnliches trifft man dann noch im ersten Geschoss des alten Bauteils der Staatsgalerie. Ein ganzer Raum zeigt die Gemälde des Perseus-Zyklus von Edward Burne-Jones. Der war ein Vertreter der Präraffaeliten, von denen es in Deutschland nicht viele Werke zu sehen gibt. Kennzeichnend für die Präraffaeliten ist eine mittelalterliche Mal- bzw. Darstellungsweise. Und so bildet Burne-Jones in den 1880er Jahren Szenen aus dem antiken Perseus-Mythos in einer dekorativ-künstlichen und bedrohlich-dunkel-kalten Art und Weise ab. Aber es geht auch heimelig; und wer hätte es gedacht, dass das in den Räumen der klassischen Moderne der Fall ist, die ja ständig die Konventionen von Neuem umgeworfen haben. Aber vielleicht hat man sich heute an Kandinsky, Picasso und Co. so gewöhnt, dass deren Formbrüche nur noch über dem Kaminfeuer hängend vorstellbar sind…. Jedenfalls macht es der Teppichboden, dass ich mich behaglich aufgehoben fühle, und die geringe Zahl an anderen Besuchern, denen ich begegne. So ist es still. Das Ticken der Luftfeuchtemesser wird vom Teppichboden leicht absorbiert, sodass ich das Zirpen von Grillen tagträume. In vollem Bewusstsein verrinnt die Zeit und hilft beim Sichversenken in den Moment. Was meine ich damit? Man stelle sich selbst in einem sonst menschenleeren Raum vor. Der Körper ruht in der perfekten Polsterung eines Sessels, dessen kühles Leder die geistige Aufmerksamkeit aufrecht erhält, und vor einem hängen sechs Bilder von Paul Klee. Obwohl alle kleinformatig sind – die Kantenlängen sind unter einem Meter – wächst der Blick auf das Märchenhaft-Fremde-Rätselnde der Gemälde ins Unendliche und geht nie aus.

 

Picasso ist auch vertreten – und zwar umfassend. D. h. die verschiedenen Werkphasen geben einen Eindruck, wie vielseitg-prägend Picasso war – aus meiner Sicht ein wertvolles Beispiel dafür, dass der äußerste, unbedingte Ausdruck eines Menschen sich im Leben durchaus mehrere Male glaubwürdig ändern kann. In einem theaterdunklen Raum tanzen auf einer kreisrunden Bühne noch immer die Kostüme des Oskar Schlemmer das Triadische Ballett. Die in den 1920er Jahren gefertigten Kostüme führen den menschlichen Körper auf geometrische Formen zurück, die Individualität jeder Figur bleibt aber erhalten.

Disclaimer: Alle Aufnahmen sind zu privaten Zwecken gemacht worden; die Staatsgalerie Stuttgart bzw. der/die Künstler_in oder deren Vertreter_in hält weiterhin das Copyright des Abgebildeten.

Galeriewochenende in Berlin

Für den Besuch des Galeriewochenendes in Berlin (offiziell: Galleryweekend Berlin) haben wir uns eine Strategie zurecht gelegt, damit wir uns von den Galeristen ernst genommen fühlen, obwohl wir 0815-Straßenkleider (Northface und so) für die Radfahrt am regnerisch-kalten Maianfang anhatten: Forsch rein in die Galerie; nicht zu lange vor einem einzelnen Bild stehen bleiben; assoziative Inhalte zum Werk halblaut miteinander austauschen (am besten nur zu zweit, sonst sieht es nach Ausflug mit Freunden aus) und kurz eine Bewertung fallen lassen; dann nach der Preisliste fragen. Falls man den Preis eines Werkes zu niedrig eingeschätzt hat, kann man das nutzen: Man spricht aus, dass man das Werk eigentlich nur für so viel wert hält; nach drei Sekunden Pause sollte man dann bekräftigen, dass man es auch für den tatsächlich höheren Preis mitnehmen würde; man hinterlässt seine E-Mail-Adresse und verlässt die Galerie zielstrebig.

Wie schon erwähnt fuhren wir mit dem Fahrrad von Galerie zu Galerie. Grundsätzlich hätten wir auch den Shuttle-Service, der von einem bayerischen Motorenhersteller betrieben wird, nutzen können (wer weiß, für welches Entgelt pro Fahrt). Die meisten Besucher treten uniformiert auf: Durchweg schwarze Klamotten, Mantel, Hut oder eine Kombination hat fast jeder an. Bei den älteren (gesetzteren, weniger rebellischen) Herren scheint der Schal fast unumgänglich. Besser man sieht so aus, oder nach sehr viel Geld, sonst fällt man auf, besonders wenn man mit Rad-Allwetter-Kluft und zersausten wind-verregnetem Haar auftaucht.

Am Sonntag ist großer Andrang im Gebäude, in dem Blain|Southern und Esther Schipper residieren: Hier hängt ein Gemälde von 22 Meter Länge von Jonas Burgert, und eine Video-Installation von Anri Sala wird präsentiert. Einige Tagesmedien (bspw. Tagesspiegel) haben die Werke im Vorfeld vorgestellt. Das Ergebnis ist ein Herdeneffekt, denn auch auf dem Kunstmarkt hat Spektakuläres meistens die Nase vorn. Zugegebenermaßen gefallen uns die beiden Werke auch recht gut. Beide Werke sind aber auch beispielhaft für mindestens die Hälfte der gezeigten Arbeiten, die nur in Museen bzw. Museumsräumen hängbar/ausstellbar zu sein scheinen. Aber es gibt durchaus auch Angebote für die private Umgebung, für die ein kleinerer Geldbeutel ausreicht und die uns auch gut gefallen.

Nebenbei bekommt man – vor allem im Westteil Berlins (Charlottenburg, Schöneberg) – sehr interessante Hinterhöfe, Hauseingänge und Treppenhäuser zu Gesicht. Insgesamt sind die Galerieräume staunenswert: Entweder sind sie so groß und hoch wie Museumsräume oder bestehen aus mehreren riesigen Zimmern in Altbauwohnungen, die natürlich ausschließlich mit der angepriesenen Kunst eingerichtet sind. Von den ausgestellten Werken abgesehen gleicht sich allerdings ingesamt das Erscheinungsbild der Galerien: Am Eingang steht die Theke oder der Tisch, auf denen die Informationen zum Ausgestellten nebst eines üppigen Blumenstrauß präsentiert sind. Dahinter sitzen ein bis zwei meist junge, weibliche Personen, die in ein Apple-Produkt starren. Irgendwo im Publikum ist der häufig männliche Galeriebesitzer oder -vertreter zu erkennen.

Wie erscheint uns zusammenfassend das Treiben am Galeriewochenende? Das Begleitmaterial der Galerie Neu zu Andreas Slominskis Arbeit transhumanistisch bringt es auf den Punkt:

Die Ros‘ ist ohn warumb

sie blühet weil sie blühet

Sich achtt nicht jhrer selbst

fragt nicht ob man sie sihet

Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann, 1675

Emotionale Beurteilung der besuchten Galerien:

Capitain Petzel – Charline von Reyl (**)

Galerie Gerken – Dieter Mammel (***)

Eigen+Art – Olaf Nicolai  (*)

Gerhardsen Gerner – Markus Oehlen ()

Galerie Neu – Andreas Slominski  (**)

Neugerriemenschneider – Michel Majerus (**)

Mehdi Chouakri – Charlotte Posenenske (*)

Galerie Max Metzler – Günther Förg ()

Galerie Guido W. Baudach – Jürgen Klauke (**)

Blain|Southern – Jonas Burgert (***)

Esther Schipper – Anri Sala, Angela Bulloch (***)

Buchmann Galerie – Tatsuo Miyajima (**)

Carlier|Gebauer – Thomas Schütte (***): Vielfalt der Technik: Skulpturen aus Bronze, Keramik, Stahl und Murano-Glas, Holzschnitt, Figurengruppe Gartenzwerge

König Galerie|St. Agnes – Michaela Heise, Anselm Reyle und andere (***)

Monatsrückblick – April 2017

|Gesehen| Akira Kurosawa: Rashomon (1950) – Akira Kurosawa: Die sieben Samurai (1954) – Akira Kurosawa: Ran (1985) – Ozu Yasujiro: Tokyo monogatari (1953) – Kenji Mizoguchi: Ugetsu monogatari (1953) – Kenji Mizoguchi: Sansho Dayu (1954) – Sebastián Lelio: Gloria – Haaifa Al Mansour: Wadjda – Pier Paolo Pasolini: Il vangelo secondo Matteo – Pier Paolo Pasolini: Uccellacci e uccellini – George Ovashvili – Die Maisinsel
|Gelesen| George Orwell: 1984 – William Golding: Lord of the Flies – Das Evangelium nach Matthäus
|Gehört| Johann Sebastian Bach: Jesu bleibet meine Freude
|Getan| ein ruhiges Osterwochenende zu Hause verbracht, viel Frühstücken, viel Kuchenbacken, überhaupt viel Kochen, sehr schönen Familienbesuch zum Spargelessen gehabt, mit Freunden in den USA skypen, alte Freunde zum Essen besucht, allerlei kleine und größere Kinder bespaßt, zum Gallery Weekend in Berlin gegangen
|Gegessen| Sushi bei Ishin, Bratwürste auf der Domäne Dahlem, mit T&AS im LuLa, Brot vom Bäcker Kapp: Chapeau und Pain Breton, Abendessen im Cookies Cream,
|Getrunken| Achel Blond 8° (belgisches Trappistenbier)
|Gefreut| Über gleich zwei neue Babies bei Freunden. Dass das alte Sofa eine neue Besitzerin gefunden hat und dass sich die beiden Berliner Sauerteiglinge tatsächlich haben reaktivieren lassen.
|Geärgert| Über diese verdammte Kälte: Wind und 3 Grad morgens Ende April.
|Gekauft| Fahrkarten und Übernachtungen für unseren Urlaub im Juni.
|Geklickt| ebay Kleinanzeigen, um das alte Sofa zu verschenken. Nachdem das Sozialkaufhaus sich nie zurückgemeldet hatte, gab es über ebay gleich fünf Interessenten.
|Hätt‘ ich Zeit und Geld, würd‘ ich…| mit einer DS alle Nationalstraßen Frankreichs abfahren

Maya-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin

Schönheit liegt in den Augen desjenigen, der sie zu schätzen weiß, und sie zu betrachten, verwandelt unsere Gefühle und veredelt unsere Kräfte. Sie ist eine konzeptuelle Wahrnehmung, die mit allen Aspekten des Lebens in Verbindung steht. Und die Kunst ist eine ihrer Ausdrucksformen, sie ist ihre Sprache.

So beginnt die Ausstellung „Die Maya – Sprache der Schönheit“, die vom 12. April bis zum 07. August 2016 im Berliner Gropius Bau zu sehen ist. Sie ist die momentan größte Ausstellung von Maya-Skulpturen, die außerhalb Mexikos zu sehen ist. Diese Ausstellung zeigt Werke aus allen Phasen der Maya-Hochkultur des 3. bis 10 Jahrhunderts, beschränkt sich jedoch auf das Gebiet der Halbinsel Yucatan, des heutigen Mexikos. Als die ersten spanischen Eroberer die Halbinsel im 16. Jahrhundert erreichten, war die Kultur längst untergegangen. Warum, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Die Ausstellung bemüht sich, eine große Bandbreite von Zeiten, Stilen und Funktionen zu zeigen, welche sich in der Kunst der Maya abbilden. Die Ausstellungsmacher gliedern die Werke in fünf zentrale Bereiche, die jeweils 1-2 Räume des Gropius-Baus umfassen:

  1. Der Körper als Leinwand
  2. Der bekleidete Körper
  3. Die Sprache der Steine
  4. Das Tier als Ebenbild
  5. Die Sprache der Farben (Die Maya nutzten etwa 30)
  6. Die Körper der Götter

Der Körper als Leinwand war der für uns aufwühlendste Teil der Ausstellung. Die Skulpturen zeigen, welche Veränderungen die Maya am eigenen Körper vorgenommen haben, um ihre soziale Zugehörigkeit und kulturelle Identität zu zeigen, und welche Schönheitsideale ihre Vorstellungen durchdrangen. Zum Beispiel haben sie die Köpfe von Neugeborenen mit Brettern geformt, Pubertierenden die Zähne abgeschliffen und Löcher gebohrt, um darin Steine einzulegen, kleine Kinder mit Wachskügelchen auf Höhe der Nasenwurzel zum Schielen gebracht, sich tätowiert, vernarbt und ihre Ohrläppchen durchstochen.

Der zweite interessante Ausstellungsteil – die Sprache der Steine – widmet sich dem Schriftsystem der Maya, den Hieroglyphen oder Glyphen. Das Schriftsystem ist aufgrund des Kalligrafiestils und der Komplexität ihrer Abbildungen elegant und einzigartig zugleich. Das Geheimnis der Maya-Schrift liegt darin, dass sie Bilderschrift (wie im Chinesischen) und Lautschrift (wie in unserem Schriftsystem) kombiniert, so dass eine Hieroglyphe ein ganzes Wort bezeichnen kann. Mittlerweile sind über die Hälfte der rund 400 bekannten Maya-Glyphen entschlüsselt. Die Maya halten mit den Inschriften im Stein bedeutende Ereignisse ihrer Geschichte und Religion fest.

Weiterhin beschreibt die Ausstellung weitere folgende Besonderheiten der Mayas:

  • Selbstopfer
  • der Tod als Übergang (zur Wiedergeburt)
  • besiegte Krieger werden als Gefangene dargestellt
  • Vorstellung von fünf Himmelsrichtungen
  • Götter zeigen sich in Tiergestalt
  • way, der animalische Begleiter eines Menschens, in dem man sich in der Nacht verwandeln kann

So interessant und klug zusammengestellt die Ausstellungsstücke sind – in der Ausstellungskonzeption selbst fallen uns einige Schwächen auf. Die Ausstellungsstücke werden zu großen Teilen in Vitrinen gezeigt, die am Rande des jeweiligen Raums nebeneinander aufgereiht sind. Das führt zum einen dazu, dass sich nur eine Fläche wirklich als Präsentationsfläche genutzt werden kann und wir uns mit den weiteren Besuchern vor den Vitrinen stauen. Die eher kleinen Räume und sehr klein geschriebenen Erklärungstafeln an den Wänden tragen zudem zum Schlangestehen bei.

Gleichzeitig ist die Ausstellung sehr dicht, für die ersten vier Räume brauchen wir fast eine Stunde und im fünften Raum kommt erst die erste Sitzgelegenheit. Dass das für viele Besucher zu lange ist, merkt man daran, dass sie voll besetzt ist.

Die Nummern für den Audioguide stehen relativ klein in der Nähe des jeweils ausgestellten Stückes innerhalb der Vitrine. Sie sind nur durch zwei geschlossene Klammern  gekennzeichnet. Das macht es schwer, sich im gesamten Ausstellungsraum zu orientieren und schnell die Stücke zu finden, für die eine Erklärung auf dem Audioguide verfügbar ist. Auch kommen die Audio-Erklärungen fast gänzlich ohne übergreifende Hinweise, z.B. zur Rolle der Religion oder den einzelnen Phasen der Mayakunst aus. Das Display des Audioguides ist nicht beleuchtet, was die einzelnen Tracks in der abgedunkelten Ausstellung schwer zu lesen macht. Zudem gibt es keine Möglichkeit zurückzuspulen und sich schnell einzelne Erklärungsteile ein zweites Mal anzuhören. Zu einem Preis von 4 Euro, zusätzlich zum Eintritt, ist das ziemlich armselig. Da auch viel auf den Tafeln erklärt wird, lohnt sich der Audioguide aus unserer Sicht nicht so richtig.

Die Ausstellung kostet 11,- Euro Eintritt. Die drei weiteren, gezeigten Ausstellungen haben ähnliche Preise. Es gibt keine Kombitickets, was einen Eintrittspreis von 42,- Euro für den gesamten Gropuis-Bau entspricht. Das ist damit deutlich teurer als in anderen Häusern ähnlicher Größe.

Fotografieren war in der Ausstellung nicht erlaubt, daher gibt es hier nur Bilder von außen.

Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin

Wir haben uns an einem dunklen Wintertag kontemporäre Kunst aus der Sammlung von Friedrich Christian Flick im Hamburger Bahnhof angeschaut.

Im zentralen Raum – der ehemaligen „Wartehalle“ – sind zwei Installationen ausgestellt: Zum einen Paul McCarthys Saloon Theater – Besucher betreten einen Holzbau, der in mehrere Räume unterteilt ist – in den Räumen werden Pornos an die Wände und Decken projeziert, die in der Szenerie von Cowboy-Filmen spielen – die Räume sind niedrig, containerartig – der Boden und die Wände sind schräg – Unwohlsein entwickelt sich schnell.

Zum anderen Richard Jacksons 5050 Stacked Paintings – Bilder befinden sich nicht (mehr) an der Wand sondern sind aufeinander gestapelt, und bilden als ansteigende Wände einen spiralförmigen Gang, der den Besucher zum Zentrum geleitet – die Leinwand wird zur Skulptur – jede Leinwand wurde vom Künstler selbst gefertigt – an einer Stelle findet sich ein hängengebliebener Arbeitshandschuh als Zeuge des Schaffensprozess.

In den anschließenden Hallen finden sich unter anderen diese Werke:

Jason Rhoades, A Few Free Years – in zwei Reihen aufgestellte dröhnende Spielautomaten durch einen schmalen Mittelgang getrennt – Erstaufstellung war 1998 in der Wiener Secession unterhalb des Beethovenfrieses von Gustav Klimt – an einem Baugerüst über den Automaten hängen Einzelteile der Reproduktion des Klimtwerks herum – die Installation spottet dem Freiheitsgehalt/-anspruch der Kunst („Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“).

Dieter Roth/Björn Roth, Gartenskulptur – riesige, eine ganze Halle einnehmende Installation aus unter anderem Pflanzen, Elektronikgeräten, Lebensmitteln, Kleidungsstücken, die er über Jahre hinzufügte – Recycling und Verfall – Kunst als eines sich „fortwährend veränderndes, vergängliches organisches Gebilde“ (Urszula Usakowska-Wolff).

Thomas Schütte, The Laundry – Holzmodelle von Waschmaschinen und über Wäscheleinen gehängte Stoffe mit (Sinn-)Sprüchen – eine alltägliche Situation wird mit Bedeutung aufgeladen.

Katharina Fritsch, Messekoje mit vier Figuren –  religiöse Verehrung trifft auf Konsum –  Waren als quasi-religiöse Gegenstände oder der Glauben als etwas Veräußerbares.

Wolfgang Tillmanns, truth study centre – Kollage aus eigenen Fotos, Auszügen aus Zeitungen, Büchern und anderen Dingen, die auf Tischen gezeigt werden – ausgestellt ist die Macht absoluter Wahrheiten (Dogmen, Fundamentalismus, Ideologie)  – die Ansammlung des Materials lässt vielfältige inhaltliche Bezüge zu: Vielfältigkeit – politisch aktivistische Installation: Wahrheit wird an ihrem Absolutheitsanspruch getestet.

Rodney Graham, School of Velocity: in der Mitte steht ein Flügel, an den Wänden Blätter einer Partitur mit jeweils einer markierten Note – der Flügel spielt Carl Czernys Schule der Geläufigkeit op. 299 – der zeitliche Abstand zwischen den gespielten Noten wird immer größer: Entschleunigung.

Bruce Nauman, Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care –  begehbarer, dreidimensionaler Gang in Form eines Kreuzes – die Installation ist in einer nicht beheizten Halle aufgestellt – die Gänge sind schwach mit orangenen Neonlicht illuminiert – Bewegungen erzeugen blechernen Hall, da die Wände aus Stahl sind – Kälte, Akustik und Dunkelheit bestärken das beklemmende Gefühl.

Joseph Beuys, ich kenne kein Weekend – Reclam-Ausgabe der Kritik der reinen Vernuft von Kant und eine Flasche mit Maggiewürze: eines der vielen Multiples von Beuys -die beiden Objekte stehen in farblicher Korrespondenz (gelb und rot)  – hier im Museum unter Glas ausgestellt, teilweise aber auch im Aktenkoffer: sozusagen Picknickkoffer-  Bedeutungsassoziationen: geistige Würze/Grundnahrungsmittel, Ma(g)gie.

Joseph Beuys, Das Ende des XX. Jahrhunderts – im Raum verstreute Basaltblöcke – Trümmer/Knochen/Leichen – in jeden Basaltblock wurde ein konisches Loch gebort – der Bohrkern wird ausgegleitet mit Lehm und Filz zurückgelegt – Hoffnung durch die Erneuerung eines Teiles.

Joseph Beuys, Unschlitt/Tallow – Fettblöcke, die den toten Raum ausfüllen, der beim Bau einer Fußgängerbrücke in Münster enstanden ist – Fett als essentieller Stoff des Lebens, energiespeichernd und energiespendend, je nach Umgebungstemperatur fest oder flüssig.

Das Worcester Art Museum

Das dritte Museum auf unserer Reise ist das städtische Kunstmuseum in Worcester, kurz WAM. Wahrscheinlich sind wir einzigen Hochzeitsgäste, die den Morgen des Hochzeitstages im Museum verbringen. Wir fühlen uns jedoch sehr gut aufgehoben. Das Museumsteam gibt sich große Mühe, dass sich die Besucher wohl fühlen und verweilen. Es gibt immer wieder Inseln zum Hinsetzen, um Kindern Bücher vorzulesen, zum Kaffeetrinken und selbst eine Partie Dame kann man hier spielen. In fast jedem Raum stehen ein oder mehrere Guides, die nicht nur Sicherheitspersonal sind, sondern als Ansprechpartner für unsere Fragen zur Verfügung stehen. Auch die Oma der Braut hat hier mal als Guide gearbeitet.

Die Sammlung ist klein aber fein, sie reicht von Mittelalter und Renaissance über europäische und amerikanische Maler bis hin zur zeitgenössischen Videoinstallation von Nam June Paik. Eines unserer Lieblingsstücke findet sich direkt zu Beginn unserer Tour im Untergeschoss: Bill Viola stellt mit Union (2000) in extrem langsam gefilmten Videos die Mimik und Gestik der religiösen, mittelalterlichen Malerei nach. Und erreicht damit große Verblüffung. Unse Blick schweift immer wieder zu dem bildlichen Vorbildern an den umgebenden Wänden – und wirklich, der Aussruck vom Armen, Oberkörper und vor allem Gesicht im Video ist den mehrere hundert Jahren alten Vorbildern wahnsinnig ähnlich.

Nach zwei Stunden treten wir wieder hinaus in die Sonne. Damit das Universum im Gleichgewicht bleibt, folgt nun die eher typische Hochzeitsvorbereitung: Mani-Pedi – also Maniküre, Pediküre und Lackieren der Nägel.

Das Boston Institute of Contemporary Art

„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Diese Frage stellt sich mir im Institute of Contemporary Art (ICA) schon deutlich häufiger als noch gestern im IFA. Die hier ausgestellten Werke sind deutlich näher am „aktuellen Rand“ und durchaus spannend. Das ICA stellt quer über alle Kategorien aus, Malerei, Skulptur, Video, Installation, Musik. Insbesondere eine kleine Fotowand zur Architektur von Wohnhäusern in den Südstaaten hat es uns angetan.

Das wohl auffälligste Stück der momentanen Sammlung ist das „Sonic Arboretum“ von Ian Sheller mit der Musik von Andrew Bird. Dabei handelt es sich um einen Raum voller Grammophone, die über zehn iPods mit Musik und Tönen bespielt werden. Zum gleichzeitigen Einschalten aller iPods musste sogar eine eigene Presse gebaut werden, die wiederum selbst womöglich ein Stück Kunst darstellt.

Die Ausstellung ist donnerstags ab 17.00 Uhr ohne Eintritt zu sehen. Für unseren Besuch haben wir uns ungefähr eine Stunde Zeit genommen.

 

Das Museum of Fine Arts in Boston

Momentan bietet das Museum of Fine Arts Boston, kurz MFA, die Gelegenheit seine Sammlung jeden Mittwoch ab 16.00 Uhr zu freiem Eintritt oder gegen eine Spende zu sehen. Trotz einsetzender Müdigkeit, nach deutscher Zeit war es bereits Mitternacht, haben wir uns auf den Weg in Richtung MFA gemacht. Nach kurzem Kampf mit dem Ticketautomaten der U-Bahn, fuhren wir mit der Linie E in Richtung Heath los. Die U-Bahn fühlt sich eher an wie eine unterirdisch verlaufende Straßenbahn, rumpelt und quietscht, brachte uns aber zuverlässig bis vor das Museum.

Tickets besorgt, gespendet, Rucksack abgegeben und rein ins Getümmel. Museum und Restaurants waren gut besucht aber nicht überfüllt. Da alles sehr weitläufig und offen ist, verläuft sich die Menge sehr schön und wir konnten in Ruhe alles sehen. Wir hatten uns vor allem die amerikanische Kunst und die zeitgenössischen Werke vorgenommen. Und, ähnlich wie schon im Getty, uns auch den Museumsbau selbst betrachtet.

Kurzum: Empfehlung. Das Gebäude ist sehr schön, lange Fluchten aber auch versteckte Ecken, von denen aus man immer wieder in die Stadt schaut. Lichte, hohe Räume unterstützen die Wirkung der Gemälde und Skulpturen. Überall gibt es Sitzgelegenheiten, Hocker und Sofas von Charles Eames, dem auch ein Teil der Ausstellung selbst gewidmet ist.

Nach nur 90 Minuten, inzwischen war es 2 Uhr morgens in Deutschland, schlug die Müdigkeit restlos zu und wir machten uns auf den Rückweg. Es war erst kurz nach acht, bis Viertel vor 10 hätten wir noch bleiben können.

Das San Francisco Art Institute

Ein Ruhepunkt mitten in der Stadt. Das San Francisco Art Institute (SFAI) liegt im Stadtteil Russian Hill, zwischen dem Trubel der italienischen Restaurants, den Schlangenkurven der Lombard Street und dem Fishermans Wharf. Es ist seit 1871 die öffentliche Kunsthochschule der Stadt. Das Gebäude erinnert von seiner Fassade und dem innenliegenden Arkadengang mit Springbrunnen an ein Landhaus in der Toskana. Sobald wir durch das Tor in den Innenhof treten, verliert die Außenwelt an Bedeutung. Darin hat das SFAI einiges mit einem klassischen Klosterbau gemeinsam.

Wir waren eigentlich wegen des berühmten Frescos von Diego Rivera hingegangen. Dieses stellt Arbeiter auf einem Holzgerüst dar, die an einer Maschine und dem Fresco selbst arbeiten. Es nimmt eine ganze Wandseite eines großen, galerieartigen Raumes ein, in dem sich noch weitere Ausstellungsstücke befinden.

Schnell fanden wir jedoch viel spannendere Ecken als das Fresco. Unten im Keller sind die Werkstätten für Gips- und Holzarbeiten, gleich daneben die Ateliers für die Malerinnen und Maler. Mehrere Studierende teilen sich den Raum, eng stehen Staffelein, Farbtöpfe und Leinwände beieinander. Im letzten Atelier sind mit langen, weißen Vorhängen kleine Separées abgetrennt. Eine Kaffeetasse, kleine persönliche Gegenstände oder sorgfältig bereitgelegte Arbeitsmaterialien vermitteln den Eindruck von kleinen Künstlerbüros. Man kann einfach den Vorhang hinter sich zuziehen und niemand schaut einem beim eigenen Schaffen über die Schulter.

Im Erdgeschoss sind die Räume der Fotografen und Zeichensäle. Ein Podest mit Kissen und der Raumplan an der Tür weisen darauf hin, dass hier die Aktzeichnungen unterrichtet werden. Die Wände zwischen den einzelnen Lehrräumen zieren immer wieder Kunstwerke oder kleine Ausstellungen. Bei den Fotografen hing beispielsweise eine Bilderstrecke mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines Fahrrad-Polo-Spiels.

Wir sind an einem Freitag Nachmittag durch das Gebäude gestromert. Die Türen standen offen. Und wir konnten überall neugierig reinlinsen. Die machen hier Kunst. Vielleicht hat der Ort deswegen diese besondere Atmosphäre, ruhig und anregend zu gleich. Auf dem Dach des Gebäudes finden sich große Flächen, Bänke, Treppen zum Sitzen, Reden und über die Stadt schauen. Die Cafeteria verkauft Kaffee auch an Nicht-Studis wie uns. Wir nehmen uns zwei Becher, setzen uns ans Fenster und schauen über die Stadt. Die haben es ziemlich gut, die Kunststudis hier. Und wir auch.