Rutscht gut ins neue Jahr

Jetzt ist es schon fast soweit. Mit dem Blick über den Rhein am heutigen Nachmittag wünschen wir euch eine schöne Silvesternacht. Der Rhein bietet Nebel und Raureif, ein Anblick wie eine Mischung aus Hiroshi Sugimoto und Andreas Gursky.

Draußen böllert und knallt es bereits heftig, die ersten Autoalarmanlagen sind schon losgegangen. Drinnen leuchtet der Weihnachtsficus. Das letzte Abendessen des Jahres war Cime di Rapa mit Orecchiette und Parmigiano.

Wir sehen uns im nächsten Jahr.

Monatsrückblick – Dezember 2016

|Gesehen| Anthony Asquith: A Cottage on Dartmoor – Xavier Dolan: Tom à la ferme – Alexander Mackendrick: Sweet Smell of Success – Roman Polanski: Carnage – Lars von Trier: Dancer in the Dark  – Lars von Trier: The Boss of It All – Gareth Edwards: Rogue One, A Star Wars Story – Rian Johnson: Bricks – Christopher Nolan: Memento – Lindsay Anderson: if…. – Olivier Assayas: Die Wolken von Sils Maria – Olivier Assayas: Irma Vep – Rainer Werner Fassbinder: Chinesisches Roulette – Rainer Werner Fassbinder:  Angst vor der Angst- Rainer Werner Fassbinder: Mutter Küsters Fahrt zum Himmel – Jean-Pierre und Luc Dardenne: La fille inconnue – Rainer Werner Fassbinder: Satansbraten
|Gelesen| Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß – David Held: Models of Democracy – Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem
|Gehört| Radiohead: A  Moon Shaped Pool – Henry Purcell: Music for the Funeral of Queen Mary – Plainchant, Ars nova – Robert Greenberg: How to listen and understand great music – Björk: Post – Björk: Medúlla – Hector Berlioz: Requiem, op. 5 – Gabriel Fauré: Requiem, op. 48 – Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquintett g-moll, KV 516 – Freundeskreis: Quadratur des Kreises
|Getan| Stollen gebacken, am Brandenburger Tor #zusammen gestanden, Weihnachten zu Hause verbracht und das Menü gekocht, bei Emma Wolf gegessen, Haare geschnitten, Silvester spazieren gegangen
|Gegessen| Porridge bei Haferkater -Würstchengulasch – Chicken Tikka Masala und Paneer Karahi – Marrokanisches Zitronenhühnchen – Rehgulasch mit Cumberland-Sauce – Orecchiette alle cime di rapa – Stollen, Plätzchen, Schokolade, selbstgemachtes Müsli


|Getrunken| Kaffee (zubereitet als Mokka) aus Papua-Neuguinea (Sigri) – Go West! IPA und Porter von Anchor Steam Beer – Chimay Brune – Sacknacht! und Citra Ale von Hopfenstopfer – Fentimans Curiosity Cola – Siegfried Gin – Kubanischer Rum
|Gedacht| jetzt wird es aber ganz schön kalt
|Gefreut| über ein beruflich äußerst produktives Jahr, über lieben Besuch, über ruhige Tage zu Hause
|Gestaunt| dass schon fast zwei Berlin-Jahre vergangen sind
|Gelacht| über Twitter-Memes
|Geärgert| darüber, dass es nicht geschneit hat und wir zwischen den Jahren nicht in den Schwarzwald zum Langlaufen können
|Gekauft| zwei Paar Schuhe, Ski-Unterwäsche, eine Edelstahlpfanne, Weihnachtsgeschenke
|Gewünscht| weniger Sorgen, in der kleinen Welt und in der großen
|Geklickt| einen Streaming-Dienst probeabonniert

Im Restaurant Emma Wolf, Mannheim

Zwischen den Jahren waren wir im neuen Quartier Q6/Q7 in Mannheim im Restaurant „Emma Wolf since 1920“ zum Mittagessen. Küchenchef ist Dennis Maier. Die Idee hinter dem als „Bistronomy“ bezeichneten Konzepts ist es, Gerichte auf dem Niveau eines sehr guten Restaurants im Ambiente eines Bistros zu servieren. Und das gelingt sehr gut. Küche und Service gefallen uns wirklich gut, einzig die Zusammenstellung der Komponenten des Menüs lässt aus unserer Sicht Raum für Verbesserung.

Wir sind die ersten und zunächst einzigen Gäste, als wir kurz nach 12 eintreffen. Das Bistro befindet sich im Untergeschoss des seit Oktober 2016 offenen Einkaufzentrums Q6/Q7 mitten in der Mannheimer Innenstadt. Uns werden die Jacken abgenommen, wir bekommen die Karte gereicht und werden gefragt, ob es schonmal eine Karaffe Wasser sein darf.

Wir entscheiden uns gegen einen Aperitif und nehmen außer dem Wasser jeder nur ein Glas Wein. Ich den weißen Wechselspiel Riesling-Scheurebe 2015 vom Weingut Metzger, M entscheidet sich für den Kalkmergel Spätburgunder 2015 vom Weingut Knipser. Es gibt ein einheitliches Menü für mittags und abends, das man in 3, 4 oder 5 Gängen bestellen kann. Darüber hinaus gibt es je drei à la carte Gerichte in den Bereichen Vorspeise, Zwischengang und Hauptgang, die sich teilweise im Menüvorschlag wiederfinden. Wir kapieren die Aufteilung und Bestellmöglichkeiten nicht sofort (manche Gänge sind als Zwischengang angelegt, war wir erst merken, als wir sie versuchen als Hauptgang im Menü zu bestellen), der freundliche Service hilft uns aber gerne weiter. Schließlich bestelle ich einmal das Menü in drei Gängen, M entscheidet sich für zwei Gerichte à la carte.

Noch bevor der Brotkorb kommt, erreicht uns der Gruß aus der Küche: Sellerie · getrüffelter Maronenschaum · Rotkohlpuder.

Kurz nach dem Gruß aus der Küche kommt auch das Gedeck: Brot mit Café de Paris Butter.

Als nächstes kommt die Vorspeise: Saibling in zwei Texturen und Temperaturen · Schwarzer Rettich · Sauerkrautsaft für mich, gebeiztes Reh · Grünkohl · Schwarze Johannisbeere für M.

 

Inzwischen füllt sich das Bistro und etwa zwei Tische sind mit Mittagsgästen besetzt. Wir bekommen die Hauptgänge. Adlerfisch · Fregola · Spinat · Krustentierschaum für mich sowie Lammrücken · Schwarzwurzel · Gewürzbrot · Birne für M:

M entscheidet sich gegen ein Dessert. Für mich gibt es das Dessert aus dem Menü: Popcorn Schaum · Vanille-Zimt-Eis · Blaubeere:

Fazit: Geschmacklich und handwerklich gut gemachtes Essen. Das Dessert fällt in Optik und Saisonalität ein bisschen aus der Reihe und in diesen beiden Punkten auch hinter den anderen Gängen zurück. Der Brotkorb hätte auch gerne schon vor dem Gruß aus der Küche kommen können. Aber insgesamt ist das sehr leckeres, gut gemachtes Essen, das auch preislich in Ordnung geht. Die Lage im Einkaufszentrum ist ungewöhnlich – auf dem Weg zu den Toiletten bemerkt man erst, in welcher „Parallelwelt“ man gerade sitzt. Wenn man aber drin sitzt, lässt es sich dem Küchenteam sehr entspannt bei der Arbeit zusehen.

Zeitereignisse – Dezember 2016

Was ist Geschichte? Wie entsteht sie? Geschichte bezieht sich auf Vergangenes ist aber auch immer gegenwärtig, denn vergangene Zeitereignisse werden im Jetzt zur Geschichte erklärt. Und umgekehrt: Teile der Geschichte können in Vergessenheit geraten. Geschichte ist auch abhängig von der Perspektive und daher keinesfalls eine objektive Tatsache. Was zur Geschichte erklärt wird, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Geschichte wird meistens von Geschichtsschreibern, Historikern oder Personen, die mit Macht ausgestattet sind, definiert. Was würde passieren, wenn ich selbst Geschichtsschreibung betreibe? Was ist das Ergebnis, wenn man beginnt, seine eigenen Zeitereignisse zu sammeln? Wird die daraus entstehende Geschichte sich mit der offiziellen Geschichtsschreibung decken? Werden Zeitereignisse, die man im Jetzt aufzeichnet, in der eigenen geschichtlichen Rückschau unwichtig sein? Dies sind die Zeitereignisse für diesen Monat:

Donald Trump nimmt die Glückwünsche des taiwanesischen Präsidenten per Telefon entgegegen. Seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan existierte kein direkter, offizieller Kontakt zwischen beiden Ländern.

Alexander van der Bellen gewinnt als unabhängiger allerdings von der Mehrheit der Parteien unterstützter Kandidat die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten gegen Norbert Hofer (FPÖ). Die Wahl musste aufgrund einer Wahlanfechtung der FPÖ wiederholt werden.

Matteo Renzi tritt vom Amt des italienischen Ministerpräsidenten zurück, nachdem eine von ihm lancierte Verfassungsänderung durch einen Bürgerentscheid abgelehnt wurde.

Im Fall der Tötung einer Feiburger Studentin wird ein 17jähriger Asylsuchender als Tatverdächtiger festgenommen. Eine Diskussion über die nichterfolgte Berichterstattung der Tagesschau entbrennt.

Der russische Botschafter in der Türkei wird ermordet.

Bei einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz kommen zwölf Menschen ums Leben. Der Attentäter wird wenige Tage später auf der Flucht erschossen.

Erstmals seit 1979 verabschiedet der UN-Sicherheitsrat eine Resolution gegen die israelische Siedlungspolitik; die Vereinigten Staaten enthalten sich.

Auf Initiative von Rußland und der Türkei wird eine UN-Resolution über einen Waffenstillstand in Syrien verabschiedet. Dem vorangegangen war die Einnahme Ost-Aleppos durch Regierungstruppen und die anschließende Evakuierug der Bevölkerung.

 

Weihnachtsstollen 2016

Wie schon in den letzten beiden Jahren wird auch das diesjährige Stollenrezept erst dann gepostet, wenn noch schnell Fotos vom letzten verbliebenen Stück gemacht worden sind. Das war heute der Fall.

Auch wie schon 2014 und 2015 wurde es wieder der Christstollen nach Vorlage des Erzgebirgischen Stollens von Lutz. Wie schon im letzten Jahr habe ich Bittermandeln, Orangeat und Zitronat am Stück verwendet sowie die Mandeln selbst abgezogen und gemahlen. Auf die Korinthen habe ich verzichtet und nur Sultanas genommen. Der Stollen ist deutlich dunkler gebacken dieses Jahr, da ich die Temperatur vergessen habe, runterzustellen und er so die erste halbe Stunde bei 250 Grad fröhlich dunkelbraunfastschwarz geworden ist.

Zutaten:

Früchtemischung

  • 400g Sultanas (Seeberger)
  • 100g Orangeat
  • 100g Zitronat
  • 200g Rum (Kuba, 7 Jahre alt, 38% Alkohol)

Butter-Mandel-Gewürz-Mischung

  • 330g Süßrahmbutter (kalt)
  • 200g ganze Mandeln
  • 50ml Milch
  • 5g Bittermandeln (ganz)
  • 1,5 TL Lebkuchengewürz (Ostmann)
  • 120g Zucker (fein)

Mehlkochstück

  • 40g Weizenmehl Typ 550
  • 200g Milch (3,5% Fett)
  • 11g Salz

Vorteig (Hefestück)

  • 220g Weizenmehl Typ 550
  • 135g Milch (3,5% Fett)
  • 33g Frischhefe

Hauptteig

  • Vorteig
  • Mehlkochstück
  • Früchtemischung
  • Butter-Mandel-Gewürz-Mischung
  • 400g Weizenmehl Typ 550
  • 50g Milch

Nach dem Backen

  • 200g Süßrahmbutter
  • 100g Feinzucker
  • ca. 200g Puderzucker

Am Vorabend:

Orangeat und Zitronat mit dem Messer in grobe Stücke schneiden und anschließend in der Moulinette fein hacken. Zusammen mit den Sultanas in einen Schüssel geben, mit Rum übergießen (so dass sie fast bedeckt sind) und 12 Stunden bei Zimmertemperatur quellen lassen. Die Früchte ab und zu durchmischen. Nach dem Quellen über ein Sieb von der übrigen Flüssigkeit trennen, wenn noch Flüssigkeit übrig ist. Die Früchte sollten vor dem Einkneten in den Teig ca. 25°C warm sein.

Die Mandeln und die Bittermandeln mit kochendem Wasser überbrühen, abziehen und in der Moulinette fein mahlen. Die gemahlenen Mandeln in eine Schüssel umfüllen, mit 50 g heißer Milch (ca. 60°C) übergießen und 30 Minuten lang quellen und dabei auskühlen lassen. Butter (kalt), Mandeln, Zucker und Gewürze kurz mit der Hand verkneten. 12  Stunden im Kühlschrank lagern.

Das Mehl für das Mehlkochstück in der Stielkasserolle mit der Milch und dem Salz verrühren und unter Rühren aufkochen. Solange weiterrühren bis sich eine dicke breiartige Masse gebildet hat (ca. 1-2 Minuten). Abgedeckt abkühlen und 12 Stunden ausquellen lassen.

Am Backtag:

Die Butter-Gewürz-Mischung aus dem Kühlschrank nehmen und zur Seite stellen.

Die Zutaten für das Hefestück mindestens 7 Minuten, eher 10-15 Minuten, mit der Hand verkneten, um das Klebergerüst ausreichend gut zu entwickeln. Ca. 45-60 Minuten bei 24-26°C auf das dreifache Volumen gehen lassen.

Die Butter-Gewürz-Mischung nochmals kurz durchkneten. Die Butter sollte plastisch verformbar, kühl, aber nicht mehr kühlschrankkalt sein.

Den Vorteig, das Mehlkochstück, die Milch und das Mehl gemeinsam mit der Butter-Mischung 3 Minuten auf niedrigster und 10 Minuten auf zweiter Stufe verkneten bis ein weicher, nicht klebender und sich vom Schüsselrand lösender Teig entstanden ist (Teigtemperatur 24-26°C). Wenn der Teig noch sehr klebrig ist, vorsichtig weiteres Mehl zufügen.

20 Minuten Teigruhe bei 24°C.

Anschließend schonend die abgetropfte Früchtemischung einarbeiten (niedrigste Stufe oder von Hand).

Den Teig in 2 Teile zu je gut 1 kg teilen. Die Arbeitsplatte bemehlen, ein Teigstück aus der Schüssel nehmen und auf der Arbeitsplatte etwa 2cm dick auf Backblechlänge ausrollen. Anschließend die langen Seiten zur Mitte hin übereinanderschlagen. Mit der zweiten Teighälfte genauso verfahren. Da der Stollen beim Backen auseinander geht, den Teig lieber zu sehr schmalen Stollen schlagen, dann passen auch beide gut nebeneinander auf das Blech.

30 Minuten Gare bei 24°C.

Bei 220°C sofort fallend auf 180°C 55 Minuten bei Ober- und Unterhitze mit etwas Dampf backen.

Wenn möglich, Kerntemperatur mit einem Braten-Thermometer messen: 94-97°C und die Stollen sind durchgebacken. Falls diese Temperaturen noch nicht erreicht sind, weiterbacken.

Nach dem Backen die Stollen ca. 45 Minuten auskühlen lassen (Kerntemperatur 50°C) und anschließend kräftig mit 50°C heißer Butter einstreichen (oder besser: in Butter tauchen). 12 Stunden bei 12-16°C unbedeckt reifen lassen.

Am Abend des Backtages:

Stollen erneut mit Butter abstreichen (oder tauchen), mit Feinzucker bestreuen und wieder 12 Stunden unbedeckt bei 12-16°C reifen lassen. Der Zucker bildet dann mit der Butter eine feste Schicht, die den Stollen konserviert.

Am Tag danach:

Nun noch kräftig mit Puderzucker bestreuen. Die Stollen in Backpapier, danach in Alufolie verpacken und in eine Plastiktüte geben. Beide Stollen an einem kühlen Ort (12-16°C) für mindestens 3-4 Tage, idealerweise 2-3 Wochen reifen lassen. Bei Angst vor Schimmel, die Stollen nur in Papier einschlagen und eine Stollentüte (mit Löchern) oder einen großen Keramik-Brottopf zur Aufbewahrung verwenden.

Fröhliche Weihnachten 2016

Mit ein bisschen Verspätung und einem Blick auf unseren als Weihnachtsbaum verkleideten Ficus Benjamini möchten wir euch allen ein ruhiges und fröhliches Weihnachtsfest wünschen. Macht euch ein paar entspannte Tage mit lieben Menschen und gutem Essen. Lest Bücher oder das Internet leer, unterhaltet euch, beschaut die Gegend oder die Menschen um euch herum. Genießt die Zeit zwischen den Jahren. Blickt auf das zurück, was hinter euch liegt und freut euch auf das, was 2017 kommt.

Vademecum für neue Zeiten

Was machen Menschen, denen in diesen neuen Zeiten durch den Begriff der „intellektuellen Elite“ zunehmend ein Außenseitertum zugewiesen wird? Zuerst einmal vergewissern sie sich selbst der aktuellen Situation.  Als Vademecum kann hierfür die im Folgenden wiedergegebene Leseliste aus der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung (26./27. November 2016, Nr. 274) dienen:

Platon, Gorgias (um 400 v. Chr.): über die demagogische Kraft der Rhetorik

Mary Shelley, Frankenstein oder der moderne Prometheus (1818):  über die Demonisierung von Außenseitern

Jewgenij Samjatin, Wir (1920): über das Problem des Individuums in einem totalitären Staat

Upton Sinclair, The Brass Check (1920): über den Journalismus als System in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Marie Jahoda und andere, Die Arbeitslosen von Marienthal (1933): über die sozialen Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit

Sinclair Lewis, It can’t happen here (1935): was die Wahl eines autoritären US-Präsidenten im Jahr 1936 und für einen „Büchermenschen“ bedeutet hätte

Ralph Ellison, Der unsichtbare Mann (1952): über die Identität eines Afroamerikaners, der in Harlem zum Anhänger des Kommunismus wird

Czeslaw Milosz, Verführtes Denken (1953): über die Empfänglichkeit von Intellektuellen für autoritäre Ideologie

Eugène Ionesco, Die Nashörner (1957): über steigende Wut in einer Gesellschaft und ihre Auswirkung auf Kommunikation und Moral im Zusammenleben

Richard Hofstaedter, The Paranoid Style in American Politics (1964): über die Tradition des paranoiden Politikstils

Hannah Arendt, Macht und Gewalt (1970):  über Bedingungen für die Ausübung von Macht und ihr Unterschied zu politischer Gewalt

Margaret Atwood, Der Report der Magd (1985): wie das Leben von Frauen wäre in einem totalitär geführten Amerika christlich-fundamentaler Ausprägung

Umberto Eco, Urfaschismus (1995): über Kernelemente des Faschismus als politisches Modell

Richard Rorty, Stolz auf unser Land (1997): über das Ergebnis von linker Politik, welche die Mittelschicht nicht mehr anspricht

Philip Roth, Verschwörung gegen Amerika (2004): über ein Amerika, das 1940 statt Roosevelt den populären Fliegerhelden Charles Lindbergh zum Präsidenten gewählt hätte

George Lakoff, The Political Mind (2008)/Jonathan Haidt, The Righteous Mind (2012): über die Rolle von Vernunft im aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskurs

Danach können die als „intellektuelle Elite“ Bezeichneten besser gegen die neuen Zeiten antreten.

Zeitereignisse – November 2016

Was ist Geschichte? Wie entsteht sie? Geschichte bezieht sich auf Vergangenes ist aber auch immer gegenwärtig, denn vergangene Zeitereignisse werden im Jetzt zur Geschichte erklärt. Und umgekehrt: Teile der Geschichte können in Vergessenheit geraten. Geschichte ist auch abhängig von der Perspektive und daher keinesfalls eine objektive Tatsache. Was zur Geschichte erklärt wird, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Geschichte wird meistens von Geschichtsschreibern, Historikern oder Personen, die mit Macht ausgestattet sind, definiert. Was würde passieren, wenn ich selbst Geschichtsschreibung betreibe? Was ist das Ergebnis, wenn man beginnt, seine eigenen Zeitereignisse zu sammeln? Wird die daraus entstehende Geschichte sich mit der offiziellen Geschichtsschreibung decken? Werden Zeitereignisse, die man im Jetzt aufzeichnet, in der eigenen geschichtlichen Rückschau unwichtig sein? Dies sind die Zeitereignisse für diesen Monat:

Der britische High Court of Justice stärkt die Rolle des House of Commons beim Verfahren zum Austritt aus der EU, der nicht ohne die Zustimmung der Parlamentarier beantragt werden darf.

Donald Trump wird zum Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Die Republikaner besitzen in beiden Kammern des US-Kongresses eine Mehrheit.

In Folge des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei werden im Rahmen von Maßnahmen gegen Oppositionskräfte die beiden Vorsitzenden der Parlamentspartei „pro-kurdische“ Demokratische Volkspartei (HDP) festgenommen. Mit einem Notstandsdekret (Nummer 677) werden weitere 15.396 Staatsbedienstete entlassen.

Das ungarische Parlament lehnt eine von Premierminister Orban vorgeschlagene Verfassungsänderung ab, mit der die Umverteilung von Asylsuchenden aus anderen Staaten der Europäischen Union nach Ungarn erschwert werden sollte.

Russland kündigt die Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auf, nachdem dies zuvor schon einige afrikanische Staaten getan hatten. Grund ist der Vorwurf einer einseitigen Praxis bei der Anklageerhebung.

In Michigan, Wisconsin und Nevada soll eine Neuauszählung der abgegebenen Stimmen bei der US-Präsidentschaftswahl durchgeführt werden.

Das Europäische Parlament beendet vorerst die Beitrittsverhandlungen der Türkei in die Europäische Union.

Donald Trump kündigt den Austritt aus dem Handelsabkommen mit 11 weiteren Pazifik-Anrainerstaaten als eine seiner ersten Handlungen als Präsident an.

The Times They Are a-Changin‘

Durch die transatlantische Zeitverschiebung kam die Nachricht am Morgen des neunten Novembers des Jahres 2016 zu uns. Der Schlaf wurde abrupt mit den Worten beendet: „Etwas Schlimmes ist passiert.“ Wir waren gewarnt, hatte sich doch schon im Juni Unerwartetes über Nacht ereignet. Gemäß eines Kinderglaubens hatten wir deshalb immer wieder laut ausgesprochen, was wir nicht haben wollen, in der Hoffnung, dass sich ein Bann realisiert.

Einst brannten an einem neunten November in der Reichsprogromnacht Wohnungen, Geschäfte, Gebetshäuser und Friedhöfe in Deutschland. Was auf dieses Ereignis folgte, wurde vor nicht allzu langer Zeit am selben Tag des Jahres gewissermaßen wiedergutgemacht. An einem neunten November fiel die Mauer, welche die beiden Teile Deutschlands voneinander getrennt hatte.

Nun verbinden wir dieses Datum erneut mit etwas Folgenschwerem: Am neunten November des Jahres 2016 hat uns die Nachricht getroffen, dass die amerikanische Bevölkerung den republikanischen Kandidaten Donald Trump zu ihrem Präsidenten gewählt hat. Schon früh am europäischen Morgen gab es daran keinen Zweifel mehr. Das Wenige, was wir in den ersten Stunden erfahren konnten, betraf die Umstände: Vermehrt Weiße, Männer und auf dem Land Lebende haben Trump gewählt. Was die Ursachen angeht, bleiben wir ratlos.

Zeiten ändern sich, sagt man – man kann es sogar singen. Ja, vielleicht können wir gegen die drohenden Veränderungen ansingen, gegen den weiteren Abstieg der Ärmeren, gegen die Spaltung ganzer Nationen, gegen den Unfrieden zwischen Menschen verschiedener Herkunft. Auf jeden Fall müssen wir wissen, dass es einen weiteren neunten November geben wird.