Monatsrückblick – Juli 2016

|Gesehen| Lars von Trier: Nymphomaniac I und II – Johannes Naber: Zeit der Kannibalen – Christopher Nolan: Inception
|Gelesen| Michel Houellebecq: Unterwerfung – Michel Houellebecq: Karte und Gebiet – Patrick Modiano: Eine Jugend – Kamel Daoud: Der Fall Meursault, eine Gegendarstellung
|Gehört| G. F. Händel: Lascia ch’io pianga – César Franck: Sonate für Violine und Piano A-Dur
|Getan| an die Peripherie von Berlin geradelt – ein Wochenende an der Ostsee verbracht
|Gegessen| Dolsot Bibimbap (koreanisches Nationalgericht) – Bircher-Müsli in mehreren Varianten (mit Sahne/Joghurt/Erdbeeren/Orangen) – Brioche – Blumenkohlsalat mit getrockneten Tomaten und Sonnenblumenkernen – Zitronenkuchen – Rote-Beete-Crêpes im Mundvoll in Kreuzberg – Bulgursalat – Pancakes – weiterhin jede Menge Bagels – Eis am Stiel, im Becher und in der Waffel
|Getrunken| Morgenkaffee mit den Kolleginnen
|Gedacht| Nicht schon wieder: immer wenn ich morgens das Handy angemacht habe und es wieder schlechte Nachrichten gab. Wohin mit all der Sorge?
|Gefreut| über einen Familienbesuch – über einen Birkenwald im Süden Berlins – einen entspannten Samstag mit zwei super-coolen Mädchen – auf den Urlaub
|Gestaunt| über die vielen Bäume und Äste, die es während des Sturms hier am 22. Juli zerlegt hat, und die jetzt noch überall am Boden liegen
|Gelernt| „eine Urlaubslage geben“ = auf der Arbeit einen ausgeben (z.B. Süßes, Kuchen, Eis, belegte Brötchen) am Tag bevor der eigene Sommerurlaub beginnt. Und, es wäre ja nicht so, dass wir nicht auch Kuchenrunden zum Geburtstag hätten. So lässt es sich arbeiten.
|Gelacht| sehr viel während eines entspannten Sommerabends an der Spree
|Geärgert| über vergessene Geburtstage im Juli
|Gekauft| nur Kleinkram, u.a. die Reiseapotheke aufgestockt
|Gewünscht| dass die Tage bis zum Urlaub nicht zu stressig sind
|Geklickt| das Europamagazin im Ersten

Gelesen – gesehen – gehört #1

Corinna Belz, Gerhard Richter Painting (2011)

Gerhard Richter beim Auftrag der Farben auf die Leinwand, mit Borstenpinsel oder Kunststoffleisten. Gerhard Richter beim Besichtigen der Austellungsräume. Assistenten beim Mischen von Farben. Assistenten bei der Konzeption der Austellung. Das Geräusch des mit Farbe getränkten Borstenpinsel auf der Leinwand, das Raunen, wenn die Kunststoffleiste über die Leinwand gezogen wird. Gerhard Richter denkt nach. Gerhard Richter verändert Bilder. Gerhard Richter hält eine Pressekonferenz. Gerhard Richter im Gespräch mit Benjamin Buchloh: „Malen ohne Plan, aber zu wissen, wann es richtig ist.“

Meditative Anschauung künstlerischer Arbeit, in gewisser Weise die Entmystifizierung des Künstlers und die Erkenntnis: Der ist reich, der machen kann, was er will, der mit seinem Ausdrucksvermögen und seiner Stellung in der Welt zufrieden ist. Was können wir daraus lernen? Zumindest, dass es diesen Olymp gibt; den Weg dorthin aber kennen wir nicht.

Link zur Webseite des Films

Noch ein paar Tage auch in der ARD-Mediathek

Momente in Gedanken #3

Wer in diesen Tagen eine geraume Weile vor der Bahnhofshalle warten musste, konnte möglicherweise ähnlich Erstaunlichem beiwohnen, wie ich es tat. Gegen 13 Uhr sprangen aus dem Gebäude einige junge Männer in roten Trikots auf den Bahnhofsvorplatz. Sie waren mit albanischen Nationalflaggen umschlungen, auf deren satten roten Hintergrund ein massiv schwarzer Doppeladler prangt. Offensichtlich handelte es sich um Anhänger des albanischen Fußballteams, das bei den diesjährigen Europameisterschaften seinen ersten Auftritt hatte. Manche trugen als traditionelle Kopfbedeckung weißleuchtend die Queleshe. Das Erscheinen der Fans versah ein dahinschlendernder Bürger mit der Aufforderung, dass diese doch bitteschön in ihr Land zurückgehen sollen.

Einige Augenblicke später nahm ich am rechten Rand meines Blickfelds das Auftreten von zwei jungen Männer mit Trikots war, die mit dem kroatischen Schachbrett übersät waren. Meine Gedanken überschlugen sich sofort. Was, wenn die beiden Gruppen sich als Mehr- und Minderheit am Platz erkennen? Gab es denn nicht auch in Kroatien nationalistische Strömungen? Und Albanien als südlicher Abschluss des Balkans ist doch ein eher muslimisch geprägtes Land. Stereotype purzelten und verkündeten die Aussicht auf Streit und möglicherweise Gewalt.

Während die albanischen Jugendlichen Gesänge anstimmten, die weniger Schlachtrufe des Sports waren sondern zu ausdrucksstarken Volksliedern tendierten (es könnte natürlich auch die albanische Nationalhymne angestimmt worden sein), betrat eine ältere Dame die Szenerie. Sie war mir schon eher aufgefallen. Mit ihrem Stoffbeutel hatte  sie den Platz überquert, um ins Bahnhofsinnere zu gelangen, mit Seitenblicken, die sie zuweilen sogar zu kurzen Stopps ausdehnte. Jetzt ging sie unter den Wartenden umher, wechselte teilweise einige Worte mit diesen und verwies ein, zweimal auf die albanischen Jugendlichen. Offensichtlich bewegte sie ein Unverständnis, das sich meines Erachtens auf zwei Beobachtungen stützen konnte. Entweder fragte sich sie, warum sich hier einige albanische Fußballfans versammelt haben (und damit nehme ich Vorwissen über die Fußball-EM bei ihr an). Oder sie wunderte sich über die lebhafte Zurschaustellung von Nationalität und missbilligte dies gar.

Inzwischen versammelten sich die albanischen Jugendlichen zu einem Gruppenfoto, das einer der beiden Kroaten schoss. Einen Moment später näherte sich die alte Dame der albanischen Formation. Unter heftigen Kopfnicken verständigte sie sich mit einem der Albaner und war bei meinem nächsten Blick in die Mitte der Gruppe verpflanzt. Der Moment der jubelnden Albaner mit der alten Dame in ihrer Mitte wurde natürlich vom kroatischen Passanten festgehalten.

Die UEFA-Europameisterschaften im Fußball der Männer erweisen sich doch als nützlich – bei all der Korruption und Manipulation im Sport sowie der solche Ereignisse begleitenden Unsicherheit für alle Beteiligten.

 

Momente in Gedanken #2

München hat viele Friedhöfe; einer davon ist besonders. Der Alte Nördliche Friedhof in der Maxvorstadt hat einen sehr schönen Baumbestand. Die Grabsteine des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegten Friedhofs sind recht groß und teilweise sogar mit Skulpturen besetzt. Tote werden hier heute nicht mehr beigesetzt. Diese Merkmale teilt der Friedhof mit anderen Grabstätten.

Wer den Nordfriedhof betritt, kann allerdings durch das Sonnenlicht, das leise durch die Blätter fällt, die Besonderheit des Friedhofs erfahren. Schnell hat man dein Eindruck, als huschten Tiere, Menschen oder Ähnliches zwischen den Bäumen vorbei. Und nach weiteren Schritten begegnet man der ersten Person, die auf einer Decke zwischen den Gräbern sitzt, und einer anderen Person, die im Schatten meditiert oder Dehnübungen macht. Denn die Umherhuschenden sind Jogger, die ihre Runden auf den Wegen des Friedhofs drehen.

Die Stadt München und die Bürger haben sich geeinigt. Der Friedhof kann zu Freizeitzwecken genutzt werden, ohne dass dabei die Pietät des Ortes und die Ruhe der Begrabenen gestört wird (wie uns Schilder aufklären). Und nach einer Weile der Akklimatisierung, können wir das Konzept langsam nachvollziehen. Gerade weil wir auf einen Friedhof sind, finden wir Ruhe. Und warum sollte man diese nicht im leisen Gespräch oder beim Laufen nutzen? Nach und nach wird uns bewusst, dass diese Ruhe und Stille in Großstädten natürlich äußerst selten ist – und man das so auch nicht in den größten Parks (wie dem Englischen Garten) finden kann.

Es bleibt nur noch über unsere (christlich-europäische) Begräbnistradition nachzudenken. Meistens befindet man sich auf einem Friedhof, wenn ein Mensch gestorben ist, der einem persönlich nahe stand. Später besucht man das Grab noch mit gleicher Stille – aber vielleicht mit abgemilderter Trauer. Wer als Kind bei einer Beerdigung dabei war, dem wird sicherlich noch die Stille der schwarz bekleideten Erwachsenen in Erinnerung sein, die Ermahnung, nicht laut zu sein, die Erklärung, dass man die Ruhe der Toten nicht stören wolle.

Wie es zum requiescat in pace  (Ruhe in Frieden) kam, wissen wir nicht so genau. Wir ahnen allerdings, dass es bei der Wandlung der eigenen alten Traditionen hilft, über die Traditionen anderer Menschen, Völker, Gesellschaften nachzudenken. Ist der Umgang mit dem Tod immer der gleiche? Allgemein bekannt ist, dass der Tod auch als eine Zwischenstation angesehen werden kann, auf dem Weg zum nächsten irdischen Leben (bspw. im Buddhismus oder bei den Mayas). Der Tod ist dann Teil des Lebens und nicht ihm entgegengesetzt. Der Tod kann auch als absolut endgültig angesehen werden, so dass nur das Diesseits zählt und die Toten keiner Behausungen bedürfen (bei den Griechen). Und manchmal wird die gemeinsame Erinnerung an Verstorbene sogar zu einem farbigen Fest mit Blumen, Gesang oder Tanz:

 

Zeitereignisse – Juni 2016

Was ist Geschichte? Wie entsteht sie? Geschichte bezieht sich auf Vergangenes ist aber auch immer gegenwärtig, denn vergangene Zeitereignisse werden im Jetzt zur Geschichte erklärt. Und umgekehrt: Teile der Geschichte können in Vergessenheit geraten. Geschichte ist auch abhängig von der Perspektive und daher keinesfalls eine objektive Tatsache. Was zur Geschichte erklärt wird, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Geschichte wird meistens von Geschichtschreibern, Historikern oder Personen, die mit Macht ausgestattet sind, definiert. Was würde passieren, wenn ich selbst Geschichtsschreibung betreibe? Was ist das Ergebnis, wenn man beginnt, seine eigenen Zeitereignisse zu sammeln? Wird die daraus entstehende Geschichte sich mit der offiziellen Geschichtsschreibung decken? Werden Zeitereignisse, die man im Jetzt aufzeichnet, in der eigenen geschichtlichen Rückschau unwichtig sein? Dies sind die Zeitereignisse für diesen Monat:

Der deutsche Bundestag verabschiedet mit großer Mehrheit eine Resolution zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern.

Die schweizer Bürger stimmen in einem Referendum mit 77 Prozent gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für jeden Einwohner.

Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe ist erstmals negativ.

Die britischen Bürger stimmen für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Gegen den Austritt haben vor allem jüngere Wähler gestimmt, sowie Londoner, Schotten und Nordiren. Die beiden Hauptkontrahenten der Debatte kamen beide aus der Conservative Party: David Cameron als Befürworter und Boris Johnson als Gegner des Verbleibs in der EU.

David Cameron kündigt nach der Abstimmung für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union seinen Rücktritt als Premierminister an.

Der Staat Kolumbien und die FARC-Rebellen unterzeichnen ein Waffenstillstandsabkommen.

Wieder mal im Frankfurter Städel

Der Vorhang im Städel hebt sich immer wieder von Neuem. Vor allem geht der Bick heute auf Aspekte bei der Austellung von Skulpturen: Zum einen haben Skulpturen verschiedene Schauseiten und können daher verschiedene Eindrücke beim Betrachter gleichzeitig hervorrufen. Zum anderen leben Skulpturen (viel mehr als Gemälde) vom Licht, das auf die Oberfläche fällt und das je nach Werkstoff den Charakter ihrer Materialität (z. B. Masse/Leichtigkeit) bestimmt.

Neben dem Licht interagieren Skulpturen mit ihrer Umgebung, die mehr oder wenig Raum hergeben kann und teilweise erst durch den freien Himmel begrenzt ist. In Museen ist gerade die Nachbarschaft mit den Gemälden interessant. Der Bezug zwischen Skulptur und Gemälde im Raum kann mit der Kameralinse eingefangen werden. Im Folgenden ein paar Impressionen der Städel-Sammlung aus dem Juli 2016.

Bronze und Marmor begegnen der Leinwand:

Sünde, Unschuld und Verrat:

Und das Städel kann auch mit Neuerwebungen aufwarten: z. B. Franz Radziwills „Das rote Flugzeug“.

Wenn man zur Gegenwartskunst hinunter in den Keller steigt, betritt man den „White Cube“ des Städels. Nach der Theorie von Brian O’Doherty soll die Austellungsarchitektur soweit wie möglich in den Hintergrund treten, damit die ausgestellten Kunstwerke „neutral“ betrachtet werden können.

Der „White Cube“ ist teilweise mit Architekturelementen verbrämt:

Auch in der Gegenwartskunst treffen sich Skulptur und Malerei:

Skulptur und Malerei in Einem:

Zum Schluss noch reine, gegenständliche Malerei

Disclaimer: Alle Aufnahmen sind zu privaten Zwecken gemacht worden; das Städel bzw. der/die Künstler_in oder deren Vertreter_in hält weiterhin das Copyright des Abgebildeten.