Momente in Gedanken #3

Wer in diesen Tagen eine geraume Weile vor der Bahnhofshalle warten musste, konnte möglicherweise ähnlich Erstaunlichem beiwohnen, wie ich es tat. Gegen 13 Uhr sprangen aus dem Gebäude einige junge Männer in roten Trikots auf den Bahnhofsvorplatz. Sie waren mit albanischen Nationalflaggen umschlungen, auf deren satten roten Hintergrund ein massiv schwarzer Doppeladler prangt. Offensichtlich handelte es sich um Anhänger des albanischen Fußballteams, das bei den diesjährigen Europameisterschaften seinen ersten Auftritt hatte. Manche trugen als traditionelle Kopfbedeckung weißleuchtend die Queleshe. Das Erscheinen der Fans versah ein dahinschlendernder Bürger mit der Aufforderung, dass diese doch bitteschön in ihr Land zurückgehen sollen.

Einige Augenblicke später nahm ich am rechten Rand meines Blickfelds das Auftreten von zwei jungen Männer mit Trikots war, die mit dem kroatischen Schachbrett übersät waren. Meine Gedanken überschlugen sich sofort. Was, wenn die beiden Gruppen sich als Mehr- und Minderheit am Platz erkennen? Gab es denn nicht auch in Kroatien nationalistische Strömungen? Und Albanien als südlicher Abschluss des Balkans ist doch ein eher muslimisch geprägtes Land. Stereotype purzelten und verkündeten die Aussicht auf Streit und möglicherweise Gewalt.

Während die albanischen Jugendlichen Gesänge anstimmten, die weniger Schlachtrufe des Sports waren sondern zu ausdrucksstarken Volksliedern tendierten (es könnte natürlich auch die albanische Nationalhymne angestimmt worden sein), betrat eine ältere Dame die Szenerie. Sie war mir schon eher aufgefallen. Mit ihrem Stoffbeutel hatte  sie den Platz überquert, um ins Bahnhofsinnere zu gelangen, mit Seitenblicken, die sie zuweilen sogar zu kurzen Stopps ausdehnte. Jetzt ging sie unter den Wartenden umher, wechselte teilweise einige Worte mit diesen und verwies ein, zweimal auf die albanischen Jugendlichen. Offensichtlich bewegte sie ein Unverständnis, das sich meines Erachtens auf zwei Beobachtungen stützen konnte. Entweder fragte sich sie, warum sich hier einige albanische Fußballfans versammelt haben (und damit nehme ich Vorwissen über die Fußball-EM bei ihr an). Oder sie wunderte sich über die lebhafte Zurschaustellung von Nationalität und missbilligte dies gar.

Inzwischen versammelten sich die albanischen Jugendlichen zu einem Gruppenfoto, das einer der beiden Kroaten schoss. Einen Moment später näherte sich die alte Dame der albanischen Formation. Unter heftigen Kopfnicken verständigte sie sich mit einem der Albaner und war bei meinem nächsten Blick in die Mitte der Gruppe verpflanzt. Der Moment der jubelnden Albaner mit der alten Dame in ihrer Mitte wurde natürlich vom kroatischen Passanten festgehalten.

Die UEFA-Europameisterschaften im Fußball der Männer erweisen sich doch als nützlich – bei all der Korruption und Manipulation im Sport sowie der solche Ereignisse begleitenden Unsicherheit für alle Beteiligten.

 

Tina Fey: Bossypants

Das Buch ist eine mit vielen Anekdoten und witzigen Sprüchen verzierte Autobiografie von Tina Fey. Sie  beschreibt darin ihr bisheriges Leben, ihre Anfänge im Improvisationstheater, ihren ersten Job als Autorin bei Saturday Night Live, einer amerikanischen Late-Night-Comedy Show auf NBC bis hin zu ihrem momentanen Job als Produzentin von 30 Rock, einer amerikanischen Sitcom. Darin spielt sie auch noch eine der Hauptrollen, an der Seite von Alec Baldwin.

Am ehesten kenn man sie in Deutschland wahrscheinlich in der Rolle der Sarah Palin, die sie während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2008 parodierte. Der Sketch in dem Sarah Palin (Tina Fey) und Hillary Clinton (Amy Poehler) zusammen auftreten wurde auch ins Hörbuch eingebunden:

Ich kannte Tina Fey vorher nicht. Das Buch war auf meine Leseliste gelangt, weil ich irgendwann letztes Jahr mal etwas darüber gelesen hatte. In der Art „unglaublich witzig und gleichzeitig klug und feministisch.“ Tina Fey liest das Hörbuch selbst und in einem irren Tempo. Wenn man sich aber mal reingehört hat, kann man sie gut verstehen und das Ganze wirkt natürlich nochmal viel intensiver, weil ihre Witze und ihr Humor so richtig durchkommen.

Ich fand es unterhaltsam, aber mit ihrem Humor konnte ich selbst gar nicht so viel anfangen, wie die vielen Kritiker, die sie dafür hoch gelobt haben. Dennoch, ein kurzweiliges Buch unter dessen Comedy-Oberfläche sich einige selbstironische und manchmal ernsten Gedanken verstecken.

Tina Fey (2011): Bossypants (unabridged), Hachette Audio, 5 Std. 35 Minuten.

Sheryl Sandberg: Lean In

Es war klar, dass ich das Buch auch noch lesen würde, oder? Lean In ist das erste Buch von Sheryl Sandberg, die eigentlich im Vorstand von Facebook ist und dort das operative Geschäft leitet. Im Buch diskutiert sie den Willen und die Möglichkeiten von Frauen, sich beruflich so richtig „reinzuhängen“. Das nämlich bedeutet der Titel auf deutsch.

Eine ihrer Thesen, die ich vorher so noch nicht gelesen hatte, ist, dass Frauen – bewusst und unbewusst – schon einen Gang zurückschalten, weil sie eventuell irgendwann einmal Kinder bekommen könnten. Das heißt, obwohl sie weder schwanger, noch verheiratet sind oder manchmal noch nicht einmal einen Freund haben, treffen sie berufliche Entscheidungen schon derart, dass ihre potenzielle spätere Familienarbeit damit zu vereinbaren wäre. Empirisch ist dieser Zusammenhang meines Wissens nach nicht belegt. Basierend auf Arbeitsmarktdaten dürfte das kausal auch schwierig zu machen sein – Schuld ist die unbeobachtbare Heterogenität, für die Insider unter uns.

Von dieser Hypothese abgesehen gibt das Buch einen netten Überblick über verschiedene falsche Abzweige, die Frauen bei ihrem beruflichen Aufstieg immer wieder nehmen. Sie erläutert, weswegen zwar so viele Frauen am Fuß des Berges starten, aber so wenige oben ankommen. Für jemanden wie mich, der sich jahrelang in der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung rumgetrieben hat und die gängigen Aussagen kennt – Mächen machen die besseren Abschlüsse, Frauen sind untereinander zu selten solidarisch, sie nehmen ihre Partner zu wenig in die Verantwortung – lernt man beim Lesen wenig hinzu.

Was nicht heißt, dass es ein schlechtes Buch ist. Das heißt nur, ich hatte mir mehr Einblicke von der „dunklen Seite der Macht“ gewünscht – zum Beispiel in Anekdoten, lessons learned oder von mir aus auch Ratschläge. Davon beinhaltet das Buch zwar ein paar, für die ich aber in jedem Kapitel einige Seiten an Forschungsergebnissen hinter mir lassen musste. Ich selbst hätte daher von einer reinen Biographie wahrscheinlich mehr gehabt.

Es war das erste Ebook, das ich auf meinem Telefon gelesen habe. Ging gut.

Sheryl Sandberg (2013):  Lean In – Women, Work and the Will to Lead, Alfred A. Knopf (Random House), Copyright Lean In Foundation.