Für den Besuch des Galeriewochenendes in Berlin (offiziell: Galleryweekend Berlin) haben wir uns eine Strategie zurecht gelegt, damit wir uns von den Galeristen ernst genommen fühlen, obwohl wir 0815-Straßenkleider (Northface und so) für die Radfahrt am regnerisch-kalten Maianfang anhatten: Forsch rein in die Galerie; nicht zu lange vor einem einzelnen Bild stehen bleiben; assoziative Inhalte zum Werk halblaut miteinander austauschen (am besten nur zu zweit, sonst sieht es nach Ausflug mit Freunden aus) und kurz eine Bewertung fallen lassen; dann nach der Preisliste fragen. Falls man den Preis eines Werkes zu niedrig eingeschätzt hat, kann man das nutzen: Man spricht aus, dass man das Werk eigentlich nur für so viel wert hält; nach drei Sekunden Pause sollte man dann bekräftigen, dass man es auch für den tatsächlich höheren Preis mitnehmen würde; man hinterlässt seine E-Mail-Adresse und verlässt die Galerie zielstrebig.
Mit dem Fahrrad von Galerie zu Galerie.
Die Sonne lacht über der Stalin – ähhhh – Karl-Marx-Allee
Charline von Reyl bei Capitain Petzel
Blick aus der Galerie Michael Fuchs
Im Durchgang zu WNTRP in der Potsdamer Strasse
Am Bau aufgepfropfte Toilettenhäuschen von Andreas Slominski bei Galerie Neu
Wie schon erwähnt fuhren wir mit dem Fahrrad von Galerie zu Galerie. Grundsätzlich hätten wir auch den Shuttle-Service, der von einem bayerischen Motorenhersteller betrieben wird, nutzen können (wer weiß, für welches Entgelt pro Fahrt). Die meisten Besucher treten uniformiert auf: Durchweg schwarze Klamotten, Mantel, Hut oder eine Kombination hat fast jeder an. Bei den älteren (gesetzteren, weniger rebellischen) Herren scheint der Schal fast unumgänglich. Besser man sieht so aus, oder nach sehr viel Geld, sonst fällt man auf, besonders wenn man mit Rad-Allwetter-Kluft und zersausten wind-verregnetem Haar auftaucht.
Detail von „Them Apples“ von Anri Sala bei Esther Schipper
Anri Salas Videoinstallation „Take Over“ bei Esther Schipper
Angela Bulloch „Heavy Metal Body“ bei Esther Schipper
Massenhaft Publikum bei Blain|Southern
„Dachte Sie“ von Jonas Burgert bei Blain|Southern
„ein Mut“ von Jonas Burgert bei Blain|Southern
Am Sonntag ist großer Andrang im Gebäude, in dem Blain|Southern und Esther Schipper residieren: Hier hängt ein Gemälde von 22 Meter Länge von Jonas Burgert, und eine Video-Installation von Anri Sala wird präsentiert. Einige Tagesmedien (bspw. Tagesspiegel) haben die Werke im Vorfeld vorgestellt. Das Ergebnis ist ein Herdeneffekt, denn auch auf dem Kunstmarkt hat Spektakuläres meistens die Nase vorn. Zugegebenermaßen gefallen uns die beiden Werke auch recht gut. Beide Werke sind aber auch beispielhaft für mindestens die Hälfte der gezeigten Arbeiten, die nur in Museen bzw. Museumsräumen hängbar/ausstellbar zu sein scheinen. Aber es gibt durchaus auch Angebote für die private Umgebung, für die ein kleinerer Geldbeutel ausreicht und die uns auch gut gefallen.
„Eight Miles High“ von Anselm Reyle bei König Galerie
Ausgestellt wird im Kirchenraum von St. Agnes
„Double Window“ von Thomas Schütte bie Carlier|Gebauer
Erwin Wurm „Abstract Figure (Big Step)“ in der Gartengruppenausstellung bei König Galerie
Treppenhaus in Schöneberg
Nebenbei bekommt man – vor allem im Westteil Berlins (Charlottenburg, Schöneberg) – sehr interessante Hinterhöfe, Hauseingänge und Treppenhäuser zu Gesicht. Insgesamt sind die Galerieräume staunenswert: Entweder sind sie so groß und hoch wie Museumsräume oder bestehen aus mehreren riesigen Zimmern in Altbauwohnungen, die natürlich ausschließlich mit der angepriesenen Kunst eingerichtet sind. Von den ausgestellten Werken abgesehen gleicht sich allerdings ingesamt das Erscheinungsbild der Galerien: Am Eingang steht die Theke oder der Tisch, auf denen die Informationen zum Ausgestellten nebst eines üppigen Blumenstrauß präsentiert sind. Dahinter sitzen ein bis zwei meist junge, weibliche Personen, die in ein Apple-Produkt starren. Irgendwo im Publikum ist der häufig männliche Galeriebesitzer oder -vertreter zu erkennen.
Wie erscheint uns zusammenfassend das Treiben am Galeriewochenende? Das Begleitmaterial der Galerie Neu zu Andreas Slominskis Arbeit transhumanistisch bringt es auf den Punkt:
Die Ros‘ ist ohn warumb
sie blühet weil sie blühet
Sich achtt nicht jhrer selbst
fragt nicht ob man sie sihet
Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann, 1675
Emotionale Beurteilung der besuchten Galerien:
Capitain Petzel – Charline von Reyl (**)
Galerie Gerken – Dieter Mammel (***)
Eigen+Art – Olaf Nicolai (*)
Gerhardsen Gerner – Markus Oehlen ()
Galerie Neu – Andreas Slominski (**)
Neugerriemenschneider – Michel Majerus (**)
Mehdi Chouakri – Charlotte Posenenske (*)
Galerie Max Metzler – Günther Förg ()
Galerie Guido W. Baudach – Jürgen Klauke (**)
Blain|Southern – Jonas Burgert (***)
Esther Schipper – Anri Sala, Angela Bulloch (***)
Buchmann Galerie – Tatsuo Miyajima (**)
Carlier|Gebauer – Thomas Schütte (***): Vielfalt der Technik: Skulpturen aus Bronze, Keramik, Stahl und Murano-Glas, Holzschnitt, Figurengruppe Gartenzwerge
König Galerie|St. Agnes – Michaela Heise, Anselm Reyle und andere (***)