Galeriewochenende in Berlin

Für den Besuch des Galeriewochenendes in Berlin (offiziell: Galleryweekend Berlin) haben wir uns eine Strategie zurecht gelegt, damit wir uns von den Galeristen ernst genommen fühlen, obwohl wir 0815-Straßenkleider (Northface und so) für die Radfahrt am regnerisch-kalten Maianfang anhatten: Forsch rein in die Galerie; nicht zu lange vor einem einzelnen Bild stehen bleiben; assoziative Inhalte zum Werk halblaut miteinander austauschen (am besten nur zu zweit, sonst sieht es nach Ausflug mit Freunden aus) und kurz eine Bewertung fallen lassen; dann nach der Preisliste fragen. Falls man den Preis eines Werkes zu niedrig eingeschätzt hat, kann man das nutzen: Man spricht aus, dass man das Werk eigentlich nur für so viel wert hält; nach drei Sekunden Pause sollte man dann bekräftigen, dass man es auch für den tatsächlich höheren Preis mitnehmen würde; man hinterlässt seine E-Mail-Adresse und verlässt die Galerie zielstrebig.

Wie schon erwähnt fuhren wir mit dem Fahrrad von Galerie zu Galerie. Grundsätzlich hätten wir auch den Shuttle-Service, der von einem bayerischen Motorenhersteller betrieben wird, nutzen können (wer weiß, für welches Entgelt pro Fahrt). Die meisten Besucher treten uniformiert auf: Durchweg schwarze Klamotten, Mantel, Hut oder eine Kombination hat fast jeder an. Bei den älteren (gesetzteren, weniger rebellischen) Herren scheint der Schal fast unumgänglich. Besser man sieht so aus, oder nach sehr viel Geld, sonst fällt man auf, besonders wenn man mit Rad-Allwetter-Kluft und zersausten wind-verregnetem Haar auftaucht.

Am Sonntag ist großer Andrang im Gebäude, in dem Blain|Southern und Esther Schipper residieren: Hier hängt ein Gemälde von 22 Meter Länge von Jonas Burgert, und eine Video-Installation von Anri Sala wird präsentiert. Einige Tagesmedien (bspw. Tagesspiegel) haben die Werke im Vorfeld vorgestellt. Das Ergebnis ist ein Herdeneffekt, denn auch auf dem Kunstmarkt hat Spektakuläres meistens die Nase vorn. Zugegebenermaßen gefallen uns die beiden Werke auch recht gut. Beide Werke sind aber auch beispielhaft für mindestens die Hälfte der gezeigten Arbeiten, die nur in Museen bzw. Museumsräumen hängbar/ausstellbar zu sein scheinen. Aber es gibt durchaus auch Angebote für die private Umgebung, für die ein kleinerer Geldbeutel ausreicht und die uns auch gut gefallen.

Nebenbei bekommt man – vor allem im Westteil Berlins (Charlottenburg, Schöneberg) – sehr interessante Hinterhöfe, Hauseingänge und Treppenhäuser zu Gesicht. Insgesamt sind die Galerieräume staunenswert: Entweder sind sie so groß und hoch wie Museumsräume oder bestehen aus mehreren riesigen Zimmern in Altbauwohnungen, die natürlich ausschließlich mit der angepriesenen Kunst eingerichtet sind. Von den ausgestellten Werken abgesehen gleicht sich allerdings ingesamt das Erscheinungsbild der Galerien: Am Eingang steht die Theke oder der Tisch, auf denen die Informationen zum Ausgestellten nebst eines üppigen Blumenstrauß präsentiert sind. Dahinter sitzen ein bis zwei meist junge, weibliche Personen, die in ein Apple-Produkt starren. Irgendwo im Publikum ist der häufig männliche Galeriebesitzer oder -vertreter zu erkennen.

Wie erscheint uns zusammenfassend das Treiben am Galeriewochenende? Das Begleitmaterial der Galerie Neu zu Andreas Slominskis Arbeit transhumanistisch bringt es auf den Punkt:

Die Ros‘ ist ohn warumb

sie blühet weil sie blühet

Sich achtt nicht jhrer selbst

fragt nicht ob man sie sihet

Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann, 1675

Emotionale Beurteilung der besuchten Galerien:

Capitain Petzel – Charline von Reyl (**)

Galerie Gerken – Dieter Mammel (***)

Eigen+Art – Olaf Nicolai  (*)

Gerhardsen Gerner – Markus Oehlen ()

Galerie Neu – Andreas Slominski  (**)

Neugerriemenschneider – Michel Majerus (**)

Mehdi Chouakri – Charlotte Posenenske (*)

Galerie Max Metzler – Günther Förg ()

Galerie Guido W. Baudach – Jürgen Klauke (**)

Blain|Southern – Jonas Burgert (***)

Esther Schipper – Anri Sala, Angela Bulloch (***)

Buchmann Galerie – Tatsuo Miyajima (**)

Carlier|Gebauer – Thomas Schütte (***): Vielfalt der Technik: Skulpturen aus Bronze, Keramik, Stahl und Murano-Glas, Holzschnitt, Figurengruppe Gartenzwerge

König Galerie|St. Agnes – Michaela Heise, Anselm Reyle und andere (***)

Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Berlin

Am Pfingstmontag ist es richtig kalt. Keine Spur mehr von der Sonne, die uns an den letzten beiden Tagen (Tag 1, Tag 2) das Wandern verschönert hat. Perfektes Wetter fürs Musem also. Gut, dass wir mit zwei lieben Freunden verabredet sind, um die aktuelle Austellung von Erwin Wurm mit dem Titel „Bei Mutti“ zu sehen, die gerade in der Berlinischen Galerie gezeigt wird.

Auf die Idee zur Austellung bin ich durch eine Folge der akutellen Staffel „Bauerfeind assistiert“ gekommen, in der Katrin Bauerfeind einen Tag lang die Assistentin von Erwirn Wurm ist und ihn eben beim Aufbau der Ausstellung in der Berlinischen Galerie unterstützt: Hier geht’s zur 3sat-Mediathek mit dem Video.

Um 10.00 Uhr sind wir pünktlich zur Öffnung die ersten, die das Gebäude betreten und fast die ersten in der Ausstellung. Die Ausstellung beginnt mit dem Narrow House, einem detailgetreuen Nachbau des Elternhauses von Erwin Wurm, das zwar auf eine Breite von 1,10m gestaucht aber begehbar ist.

Die One Minute Sculptures in der großen Ausstellungshalle mit den Treppen liegen noch unberührt da. So leer wie auf dem Schnappschuß, wird es den ganzen Vormittag, den wir dort verbringen, nicht mehr werden.

Bei diesen Objekten mit Tennisbällen, Büchern, Hundehütte oder Pullover kann jeder mitmachen und auf kleinen Podesten zum kurzzeitigen Kunstobjekt erstarren. Sie wirken offenbar magisch anziehend auf Austellungsbesucher mit Kindern. Jedenfalls wuselt es nur eine halbe Stunde später durch die Ausstellungshalle, wie wir es bisher in keinem anderen Kunstmuseum erlebt haben. Kunst zum Anfassen, im buchstäblichen Sinn.

Da sind wir aber schon weiter gegangen und im linken hinteren Raum angekommen, der die aktuellen Arbeiten aus Bronze und Polyesterharz zeigt. Besonders der Kühlschrank mit dem Titel „Butter“ hat es uns angetan und wir müssen uns zusammenreißen, dass wir hier nicht – wie noch im Raum zuvor – alles anfassen. So haptisch einladend und butterähnlich wirkt die Oberfläche.

Danach gehen wir noch kurz in den ersten Stock und schauen uns die ausgestellten Werke der Sammlung der Berlinischen an, bevor wir Hunger bekommen und den Besuch bei einem gemeinsamen Mittagessen in Kreuzberg ausklingen lassen.