Kunst in 0711

0711 ist die Telefonvorwahl von Stuttgart und gleichzeitig ein Markenbegriff für die Stadt. Dass für mich das Kulturleben ein Teil der Marke Stuttgarts ist, hat sich mal wieder am Besuch der Staatsgalerie gezeigt. Es geht dabei um Details mit eindrücklicher Wirkung wie frisch-grüner Noppenboden, gruftartig-spirituelle Räume in satt-dunklem Grau, bühnenhafte Inszenierung von Ballettkostümen, unendlichem Sichversenken in ledernen Sesseln.

Fangen wir sachlich an: Im Jahr 1843 wurde das erste Gebäude der Staatsgalerie fertiggestellt, das der König von Württemberg zur Beherbergung der Gemäldesammlung und der Kunstschule in Auftrag gegeben hatte. Woran ich mich immer wieder erfreue, ist der Anblick des Neubaus von James Stirling aus dem Jahre 1984. Die Wandfronten bestehen aus großen, sandfarbenen Steinblöcken und erzeugen bei mir die Wahrnehmung einer zwar harten aber warmen Außenhaut. Am Eingangsbereich wird die Wand durch ein Fensterfassade in Wellenform durchbrochen, die durch frisch-grüne Stahlträger gegliedert wird. Auf dem terrassiertem Gelände befinden sich noch weitere Elemente, deren Material stahlartig ist – in rot, blau und pink – und aus einer industriellen Produktion zu kommen scheinen, wie die Geländer oder das Dach vor den Eingangstüren. Im Empfangsbereich begrüßt dann der Noppenboden wieder im frischen Grün, der mich im besten Sinne an Legosteine erinnert. Zusammen ist das als herausragendes postmodernes Beispiel in den Architekturkanon eingegangen.

Vor ein paar Jahren war die Sammlungspräsentation noch enthistorisiert, sodass mittelalterliche Altäre neben abstrakter Nachkriegskunst zu hängen kamen. Aktuell wird wieder chronologisch durch die Sammlung geführt – und zwar vom 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Die Hängung ist aus meiner Sicht optimal, was das Verhältnis der Größe der Bilder zur ihrer Menge im Raum angeht  – also keine überhäufte Hängung von Riesengemälden à la Louvre. Und damit ergibt sich die Basis für viele der besten – das heißt stimmigen – Eindrücke von Kunstwerken in Museumsräumen, die ich je hatte.

Wenn man den Rundgang am Berührungspunkt des alten und neuen Baukörpers beginnt – wieder eine in grüne Stahlträger gefasste Glasfassade – dann trifft man zuerst auf eine Serie von Rückenakten von Matisse: Bronzeplatten, die durch unterschiedliche Abstraktionsgrade das bildhauerische Entstehen (oder Verschwinden) eines Rückenreliefs zeigen. An diesem Punkt empfehle ich tatsächlich chronologisch vorzugehen. Dann nimmt man den symbolisch nachzuvollziehenden Weg aus Räumen des ausgehenden Mittelalters in dunkler Wandfarbe und dezent beleuchtet gehalten in die weißwandigen Räume der Gegenwart im postmodernen Bauteil des Museums. Aber qualitativ beschreibt dieser Gang keinen Fortschritt, denn außergewöhnlich gute Eindrücke bestehen in jedem Epochenabschnitt. Denn sprach ich gerade von dunkler Wandfarbe im altdeutschen Teil des Erdgeschosses, so meine ich ein satt-dunkles Grau, das mit der dezenten Beleuchtung eine sakrale Atmosphäre erzeugt: nicht monumental-kathedralenhaft, sondern eher gruftartig-spirituell und dabei großartig durch die Perspektive der nacheinander folgenden Räume, was ich als eine unaufdringlich gute Art der Präsentation von mittelalterlich-sakraler Kunst empfinde.

Auf Ungewöhnliches trifft man dann noch im ersten Geschoss des alten Bauteils der Staatsgalerie. Ein ganzer Raum zeigt die Gemälde des Perseus-Zyklus von Edward Burne-Jones. Der war ein Vertreter der Präraffaeliten, von denen es in Deutschland nicht viele Werke zu sehen gibt. Kennzeichnend für die Präraffaeliten ist eine mittelalterliche Mal- bzw. Darstellungsweise. Und so bildet Burne-Jones in den 1880er Jahren Szenen aus dem antiken Perseus-Mythos in einer dekorativ-künstlichen und bedrohlich-dunkel-kalten Art und Weise ab. Aber es geht auch heimelig; und wer hätte es gedacht, dass das in den Räumen der klassischen Moderne der Fall ist, die ja ständig die Konventionen von Neuem umgeworfen haben. Aber vielleicht hat man sich heute an Kandinsky, Picasso und Co. so gewöhnt, dass deren Formbrüche nur noch über dem Kaminfeuer hängend vorstellbar sind…. Jedenfalls macht es der Teppichboden, dass ich mich behaglich aufgehoben fühle, und die geringe Zahl an anderen Besuchern, denen ich begegne. So ist es still. Das Ticken der Luftfeuchtemesser wird vom Teppichboden leicht absorbiert, sodass ich das Zirpen von Grillen tagträume. In vollem Bewusstsein verrinnt die Zeit und hilft beim Sichversenken in den Moment. Was meine ich damit? Man stelle sich selbst in einem sonst menschenleeren Raum vor. Der Körper ruht in der perfekten Polsterung eines Sessels, dessen kühles Leder die geistige Aufmerksamkeit aufrecht erhält, und vor einem hängen sechs Bilder von Paul Klee. Obwohl alle kleinformatig sind – die Kantenlängen sind unter einem Meter – wächst der Blick auf das Märchenhaft-Fremde-Rätselnde der Gemälde ins Unendliche und geht nie aus.

 

Picasso ist auch vertreten – und zwar umfassend. D. h. die verschiedenen Werkphasen geben einen Eindruck, wie vielseitg-prägend Picasso war – aus meiner Sicht ein wertvolles Beispiel dafür, dass der äußerste, unbedingte Ausdruck eines Menschen sich im Leben durchaus mehrere Male glaubwürdig ändern kann. In einem theaterdunklen Raum tanzen auf einer kreisrunden Bühne noch immer die Kostüme des Oskar Schlemmer das Triadische Ballett. Die in den 1920er Jahren gefertigten Kostüme führen den menschlichen Körper auf geometrische Formen zurück, die Individualität jeder Figur bleibt aber erhalten.

Disclaimer: Alle Aufnahmen sind zu privaten Zwecken gemacht worden; die Staatsgalerie Stuttgart bzw. der/die Künstler_in oder deren Vertreter_in hält weiterhin das Copyright des Abgebildeten.

Museum Ludwig in Köln

Vor 40 Jahren schenkte das Ehepaar Ludwig der Stadt Köln Werke aus ihrer Sammlung, die sich seit 30 Jahren im Museumsbau hinter dem Kölner Dom befinden. Zum Jubiläum wurden nun Kunstwerke, die in besonderer Verbindung mit dem Museum stehen.

Schon an der Außenfassade des Museums hängt ein Plakat der Guerrilla Girls, die ironischerweise die Vorzüge des Mäzenatentums preisen. Die Vorzüge, ein eigenes Kunstmuseum zu besitzen, sind unter anderem, dass man – wie in der eigenen Firma – der Chef ist, dass Kunstproduzenten und -vermittler einem in den Hintern kriechen und dass man mit Schenkungen steuern sparen kann.

Im Innern überwindet der Besucher dann gleich zu Beginn Ahmet Ögüts Installation Bakunin’s Barricade – indem er hinter den beiden umgekippten Autos in die Sammlungsräume geht. Michail Bakunin hatte während den revolutionären Vorgängen 1849 in Dresden die Idee, Bilder aus der Staatlichen Gemäldesammlung auf die Straßenbarrikaden zu hängen, um die anrückenden Soldaten zu stoppen. In Anlehnung dazu legte Ögüts fest, dass der Käufer seines Kunstwerk im Falle eines Konflikts zur Verfügung stellen soll.

Hans Haackes Arbeit Der Pralinenmeister dokumentiert kritisch das Entstehen des Museums Ludwig: Peter Ludwig war Kunsthistoriker und mit der Erbin eines Schokoladenfabrikanten verheiratet. Auf welche Weise das Sammlerehepaar sich Einfluss auf die Sammlung auch nach der Schenkung an die Stadt Köln sichert, wird der Besucher zusammen mit den Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten ihres Unternehmens  schriftlich informiert. Die Gesinnung der Spender wird genüsslich verrissen.

Meschac Gabas Arbeit Reflection Room besteht aus einem Zelt, das einen unwillkürlich an eine provisorische Flüchtlingsunterkunft denken lässt. Die Zeltplane stellt die Flaggen aller Staaten der Welt dar. Symbolisch treffen sich also alle Nationen der Welt im Reflection Room. In seinem Innenraum sind tatsächlich auf Tischen Malutensilien für jedermann/-frau verteilt. Pratchaya Phinthong schenkte im Vorfeld der Ausstellung  geflüchteten Menschen in Bangkok hergestellte Jeans, welche diese dann für die Dauer der Austellung an die Mitarbeiter des Museums übergaben. An die Aktion erinnern in der Ausstellung zwei Teller, die von einem Essen des Künstlers mit den geflüchteten Menschen stammen.

Ansonsten kann man sich in der Menge der Sammlunghighlights verlieren. Das Museum ist weltbekannt für Pop-Art. Daher sind mehrere Räume dicht gehängt mit den Erzeugnissen deren Vertreter, wie etwa Jasper Johns Map, die auf Buckminster Fullers Versuch, eine verzerrungsfreie Projektion der Weltkugel zu schaffen, zurückgeht, Edward Kienholz silbrig-klebrige Soldatenhelden ohne Kopf, die im The Portable War Memorial unter der ewigen Wiederholung des Songs „God Bless America“ mit der Flagge in der Hand einen Imbisstisch erobern und den verkohlten Tarzan im Eck nicht wahrnehmen, das Punktraster in Roy Lichtensteins M-Maybe (A Girl’s Picture), das der Emotion des Bildausschnitts aus einem Comic-Strip keinen Abbruch tut, Richards Lindners trivialisierende Fetischobjekte in Disneyland, Tom Wesselmanns plakative Collage eines VW Käfers in Landscape No. 2 und eines Badezimmers mit Wäschekorb, Duschvorhang und Handtuch als reale Objekte in Bathtub 3, und zuletzt James Rosenquists Star Thief, dessen im Weltraum liegende, monumentale Speckstreifen das gesamte Treppenhaus ausfüllen (auch weil es als Wandgemälde des Miami Airport nicht akzeptiert wurde).

Zudem gibt es einige Klassiker zu sehen wie Paul Klees Hauptweg und Nebenweg oder Pablo Picassos Musketier und Amor (hinter welchem der beiden mag sich der Künstler verbergen?). Und auch Arbeiten jüngerer deutscher Künstler sind zu sehen: A. R. Pencks Gemälde Ich in Deutschland (West) zeigt aus der Sicht des Künstlers alles, wird aber aufgrund seiner Ausmaße (6m auf 12m) selten gezeigt. Bei Isa Genzkens Installation Kinder filmen werden destruktive Elemente der Konsumwelt inszeniert. Wolfgang Tillmans bekommt wie immer einen ganzen Raum für seine Fotos in unterschiedlichen Formaten und Martin Kippenbergers Kanarienvögel zerfließt das Zitronengelb im Angesicht des Mündungsrohrs eines Panzers.

 

Maya-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin

Schönheit liegt in den Augen desjenigen, der sie zu schätzen weiß, und sie zu betrachten, verwandelt unsere Gefühle und veredelt unsere Kräfte. Sie ist eine konzeptuelle Wahrnehmung, die mit allen Aspekten des Lebens in Verbindung steht. Und die Kunst ist eine ihrer Ausdrucksformen, sie ist ihre Sprache.

So beginnt die Ausstellung „Die Maya – Sprache der Schönheit“, die vom 12. April bis zum 07. August 2016 im Berliner Gropius Bau zu sehen ist. Sie ist die momentan größte Ausstellung von Maya-Skulpturen, die außerhalb Mexikos zu sehen ist. Diese Ausstellung zeigt Werke aus allen Phasen der Maya-Hochkultur des 3. bis 10 Jahrhunderts, beschränkt sich jedoch auf das Gebiet der Halbinsel Yucatan, des heutigen Mexikos. Als die ersten spanischen Eroberer die Halbinsel im 16. Jahrhundert erreichten, war die Kultur längst untergegangen. Warum, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Die Ausstellung bemüht sich, eine große Bandbreite von Zeiten, Stilen und Funktionen zu zeigen, welche sich in der Kunst der Maya abbilden. Die Ausstellungsmacher gliedern die Werke in fünf zentrale Bereiche, die jeweils 1-2 Räume des Gropius-Baus umfassen:

  1. Der Körper als Leinwand
  2. Der bekleidete Körper
  3. Die Sprache der Steine
  4. Das Tier als Ebenbild
  5. Die Sprache der Farben (Die Maya nutzten etwa 30)
  6. Die Körper der Götter

Der Körper als Leinwand war der für uns aufwühlendste Teil der Ausstellung. Die Skulpturen zeigen, welche Veränderungen die Maya am eigenen Körper vorgenommen haben, um ihre soziale Zugehörigkeit und kulturelle Identität zu zeigen, und welche Schönheitsideale ihre Vorstellungen durchdrangen. Zum Beispiel haben sie die Köpfe von Neugeborenen mit Brettern geformt, Pubertierenden die Zähne abgeschliffen und Löcher gebohrt, um darin Steine einzulegen, kleine Kinder mit Wachskügelchen auf Höhe der Nasenwurzel zum Schielen gebracht, sich tätowiert, vernarbt und ihre Ohrläppchen durchstochen.

Der zweite interessante Ausstellungsteil – die Sprache der Steine – widmet sich dem Schriftsystem der Maya, den Hieroglyphen oder Glyphen. Das Schriftsystem ist aufgrund des Kalligrafiestils und der Komplexität ihrer Abbildungen elegant und einzigartig zugleich. Das Geheimnis der Maya-Schrift liegt darin, dass sie Bilderschrift (wie im Chinesischen) und Lautschrift (wie in unserem Schriftsystem) kombiniert, so dass eine Hieroglyphe ein ganzes Wort bezeichnen kann. Mittlerweile sind über die Hälfte der rund 400 bekannten Maya-Glyphen entschlüsselt. Die Maya halten mit den Inschriften im Stein bedeutende Ereignisse ihrer Geschichte und Religion fest.

Weiterhin beschreibt die Ausstellung weitere folgende Besonderheiten der Mayas:

  • Selbstopfer
  • der Tod als Übergang (zur Wiedergeburt)
  • besiegte Krieger werden als Gefangene dargestellt
  • Vorstellung von fünf Himmelsrichtungen
  • Götter zeigen sich in Tiergestalt
  • way, der animalische Begleiter eines Menschens, in dem man sich in der Nacht verwandeln kann

So interessant und klug zusammengestellt die Ausstellungsstücke sind – in der Ausstellungskonzeption selbst fallen uns einige Schwächen auf. Die Ausstellungsstücke werden zu großen Teilen in Vitrinen gezeigt, die am Rande des jeweiligen Raums nebeneinander aufgereiht sind. Das führt zum einen dazu, dass sich nur eine Fläche wirklich als Präsentationsfläche genutzt werden kann und wir uns mit den weiteren Besuchern vor den Vitrinen stauen. Die eher kleinen Räume und sehr klein geschriebenen Erklärungstafeln an den Wänden tragen zudem zum Schlangestehen bei.

Gleichzeitig ist die Ausstellung sehr dicht, für die ersten vier Räume brauchen wir fast eine Stunde und im fünften Raum kommt erst die erste Sitzgelegenheit. Dass das für viele Besucher zu lange ist, merkt man daran, dass sie voll besetzt ist.

Die Nummern für den Audioguide stehen relativ klein in der Nähe des jeweils ausgestellten Stückes innerhalb der Vitrine. Sie sind nur durch zwei geschlossene Klammern  gekennzeichnet. Das macht es schwer, sich im gesamten Ausstellungsraum zu orientieren und schnell die Stücke zu finden, für die eine Erklärung auf dem Audioguide verfügbar ist. Auch kommen die Audio-Erklärungen fast gänzlich ohne übergreifende Hinweise, z.B. zur Rolle der Religion oder den einzelnen Phasen der Mayakunst aus. Das Display des Audioguides ist nicht beleuchtet, was die einzelnen Tracks in der abgedunkelten Ausstellung schwer zu lesen macht. Zudem gibt es keine Möglichkeit zurückzuspulen und sich schnell einzelne Erklärungsteile ein zweites Mal anzuhören. Zu einem Preis von 4 Euro, zusätzlich zum Eintritt, ist das ziemlich armselig. Da auch viel auf den Tafeln erklärt wird, lohnt sich der Audioguide aus unserer Sicht nicht so richtig.

Die Ausstellung kostet 11,- Euro Eintritt. Die drei weiteren, gezeigten Ausstellungen haben ähnliche Preise. Es gibt keine Kombitickets, was einen Eintrittspreis von 42,- Euro für den gesamten Gropuis-Bau entspricht. Das ist damit deutlich teurer als in anderen Häusern ähnlicher Größe.

Fotografieren war in der Ausstellung nicht erlaubt, daher gibt es hier nur Bilder von außen.

Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Berlin

Am Pfingstmontag ist es richtig kalt. Keine Spur mehr von der Sonne, die uns an den letzten beiden Tagen (Tag 1, Tag 2) das Wandern verschönert hat. Perfektes Wetter fürs Musem also. Gut, dass wir mit zwei lieben Freunden verabredet sind, um die aktuelle Austellung von Erwin Wurm mit dem Titel „Bei Mutti“ zu sehen, die gerade in der Berlinischen Galerie gezeigt wird.

Auf die Idee zur Austellung bin ich durch eine Folge der akutellen Staffel „Bauerfeind assistiert“ gekommen, in der Katrin Bauerfeind einen Tag lang die Assistentin von Erwirn Wurm ist und ihn eben beim Aufbau der Ausstellung in der Berlinischen Galerie unterstützt: Hier geht’s zur 3sat-Mediathek mit dem Video.

Um 10.00 Uhr sind wir pünktlich zur Öffnung die ersten, die das Gebäude betreten und fast die ersten in der Ausstellung. Die Ausstellung beginnt mit dem Narrow House, einem detailgetreuen Nachbau des Elternhauses von Erwin Wurm, das zwar auf eine Breite von 1,10m gestaucht aber begehbar ist.

Die One Minute Sculptures in der großen Ausstellungshalle mit den Treppen liegen noch unberührt da. So leer wie auf dem Schnappschuß, wird es den ganzen Vormittag, den wir dort verbringen, nicht mehr werden.

Bei diesen Objekten mit Tennisbällen, Büchern, Hundehütte oder Pullover kann jeder mitmachen und auf kleinen Podesten zum kurzzeitigen Kunstobjekt erstarren. Sie wirken offenbar magisch anziehend auf Austellungsbesucher mit Kindern. Jedenfalls wuselt es nur eine halbe Stunde später durch die Ausstellungshalle, wie wir es bisher in keinem anderen Kunstmuseum erlebt haben. Kunst zum Anfassen, im buchstäblichen Sinn.

Da sind wir aber schon weiter gegangen und im linken hinteren Raum angekommen, der die aktuellen Arbeiten aus Bronze und Polyesterharz zeigt. Besonders der Kühlschrank mit dem Titel „Butter“ hat es uns angetan und wir müssen uns zusammenreißen, dass wir hier nicht – wie noch im Raum zuvor – alles anfassen. So haptisch einladend und butterähnlich wirkt die Oberfläche.

Danach gehen wir noch kurz in den ersten Stock und schauen uns die ausgestellten Werke der Sammlung der Berlinischen an, bevor wir Hunger bekommen und den Besuch bei einem gemeinsamen Mittagessen in Kreuzberg ausklingen lassen.

 

 

Haus der Kunst, München

Unsere erste Ausstellung in München führt uns ins Haus der Kunst (HDK) am südlichen Ende des Englischen Gartens. Dort wird noch den ganzen Sommer 2016 die Ausstellung „Eine Geschichte: Zeitgenössische Kunst aus dem Centre Pompidou“ gezeigt.

Der Bau wurde unter den Nationalsozialisten errichtet (als Haus der Deutschen Kunst) und diente als Schauplatz für die jährliche „Große Deutsche Kunstaustellung“. In der zentralen „Ehrenhalle“ wurden Reden zur deutschen Kulturpolitik gehalten. Kunstwerke an der Schaufassade des Gebäudes stehen heute mahnend für diese Zeiten. Gustav Metzger verweist in Travertin/Judenpech – eine 60 Quadratmeter große Asphaltschicht am Haupteingang  – anhand von Baumaterialen auf die Unterdrückung und Verfolgung von Juden im Dritten Reich. Christian Boltanski zeigt uns in Résistance die Augenpaare der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Und Mel Bochner dokumtiert mit The Joys of Yiddish am oberen Teil der Fassade den verbalen Trotz im jüdischen Ghetto.

Die Ausstellungsmacher setzen insgesamt sieben Schwerpunkte: der Künstler als Historiker, als Dokumentarist, als Archivar, als Produzent und weiter der Künstler und der Körper, der Künstler und das Objekt sowie schließlich Sonic Boom. Schwerpunktmäßig werden Werke der 1980er bis frühen 2000er Jahre gezeigt. Die Ausstellung wurde von Christine Macel zusammen mit Julienne Lorz kuratiert. Die Begleittexte stammen allesamt aus dem Centre Pompidou. Im Einführungstext heißt es zur Zielstellung der Ausstellung

„[…] untersucht diese Ausstellung nicht nur globale künstlerische Verfahrensweisen im Kontext einer Sammlung und über einen gewissen Zeitraum hinweg, sondern fördert im Grunde die Bedeutung der Gegenwartskunst für unsere Zeit zutage.“

Das klingt für meine Ohren ein wenig zu allgemein. Die Begleittexte – an den Wänden und im Booklet zu finden  –  lassen mich als wenig erfahrenen Besucher ein bisschen ratlos zurück. Bei einer Ausstellung dieses eher kleinen Umfangs – sowohl was die Anzahl der Werke wie auch die abgedeckte Zeitspanne angeht – bei sieben Perspektiven von Schwerpunkten zu sprechen erscheint mir viel. Aber wie ordnet man vernüftig eine solche Sammlung, verschiedenster Künstler aus verschiedenesten Ländern, von denen jeder nur mit einem, maximal zwei, Werken vertreten ist? Immerhin bekommt man einen Eindruck über die Vielfalt der kontemporären Kunst, die nicht nur von westlichen Künstlern geprägt wird.

Die Ausstellung selbst führt durch einen sehr großen Raum, der die zwei raumgreifensten Installationen beherbergt, und 11 kleinere Räume, die sich rund um den zentralen Ausstellungsraum gruppieren. Insgesamt kommen wir mit den drei Stunden Besuchszeit gut hin. Die Werke der Ausstellung, die uns besonders gefallen haben, sind allesamt auf den Fotos.

Das Haus der Kunst verfügt über ein ungewöhnlich schönes Café – sogar eine Bar – bei der die Nutzung des Wortes Museumscafé in die Irre führen würde. Die „Goldene Bar“ ist direkt aus den Ausstellungsräumen im Erdgeschoss zugänglich, aber auch von außerhalb und bietet Sitzgelegenheiten draußen und drinnen – mal eher mit Bar-, mal eher mit Kaffeehausatmosphäre. An diesem sonnigen Himmelfahrtstag verbindet sie die Besucher, die von den Wiesen am Eisbach für Kaffee und Kuchen herüber kommen und die Ausstellungsbesucher.

Und hier noch der Überblick über die beteiligten Künstler:

Raum 1, Der Künstler als Historiker: Annette Messager (Frankreich), Mes Vœux | Glenn Ligon (USA) | Michel Basquiat (USA), Slave Auction | Chéri Samba (Demokratische Republik Kongo),  Marche de soutien à la campagne sur le SIDA | Marlene Dumas (Südafrika) | Hans Haacke (Deutschland), MetroMobiltan

Raum 2: Fabrice Hyber (Frankreich) | Thomas Hirschhorn (Schweiz), Outgrowth | Samuel Fosso (Kamerun), La Femme américaine libérée des années 70 | Erik Bulatov (Russland), Printemps dans une maison de repos des travailleurs | Ayse Erkmen (Türkei) | Sara Rahbar (Iran), Flag | Fang Lijun (China), Untitled | Chen Zhen (China/Frankreich), Round Table | Christian Boltanski (Frankreich), Les archives de C.B. 1965-1988 | Zhang Huan (China), Family Tree | Wilfredo Prieto (Kuba), Avalanche

Raum 3, Der Künstler und der Körper:  Regina José Galindo (Guatemala), Perra | Georges Tony Stoll (Frankreich), Le tunnel (Moby Dick) | Santiago Sierra (Spanien) | Oleg Kulik (Ukraine), Mad Dog | Dan Perjovschi (Rumänien), Romania und Removing Romania | Sarah Lucas (UK), Nud Cycladic 5 | Nicholas Hlobo (Südafrika), Balindile II | Anne-Maria Schneider (Frankreich)

Raum 4, Der Künstler als Dokumentarist: Niva Pereg (Israel), Sabbath | Goncalo Mabunda (Mozambique), O trono de um mundo sem revoltas | Subodh Gupta (Indien), Sister | Ahmed Mater (Saudi Arabien), From the real to the symbolic city | Zanele Muholi (Südafrika) | Kendell Geers (Südafrika), T.W. (I.N.R.I) | Atul Dodiya (Indien), Charu

Raum 5, Der Künstler als Archivar: Rabih Mroué (Libanon) | Hassan Darsi (Marokko), The Model Project | Taysir Batniji (Palestina) | Akram Zaatari (Libanon) | Walid Raad (Libanon) | Yto Barrada (Frankreich), Untitled

Raum 6, Der Künstler und das Objekt: Fernanda Gomes (Brasilien), Untitled | Gabriel Orozco (Mexiko), La D.S. | Tobias Putrih (Slowenien), Times | Wolfgang Tillmans (Deutschland), Suzanne & Lutz, white dress, army skirt | Damián Ortega (Mexiko),  Molécula de glucosa expandida

Räume 7 und 8, Der Künstler als Produzent: Liam Gillick (UK), Revision/22nd Floor Wall Design | Dominique Gonzalez-Foerster (Frankreich) | Pipilotti Rist (Schweiz) | Carsten Höller (Belgien), Jenny | Pierre Huyghe (Frankreich) | Michel Francois (Belgien), Affiche Cactus | Tobias Rehberger (Deutschland), Die Außenseiterin und der große Bach

Raum 9, Sonic Boom: Rirkrit Tiravanija (Thailand) | Oliver Payne & Nick Relph (UK) | Gregor Hildebrandt (Deutschland) | Andreas Gursky (Deutschland), Madonna I | Destroy all Monsters (USA) | Robert Longo (USA), Men in the Cities

Raum 10, Der Künstler als Historiker: Roman Ondak (Slowakei), Common Trip | Mircea Cantor (Rumänien),  Tasca che punge (Itching pocket) | Paweł Althamer (Polen), Tecza (Rainbow) | Chris Marker (Frankreich), Détour, Ceaucescu | Edi Hila (Albanien)

Raum 11, Der Künstler als Historiker: Danh Vo (Vietnam/Dänemark), The Sea of Fertility

Raum 12, Der Künstler als Historiker: David Maljkovic (Kroatien), Petrit Halilaj (Kosovo), It is the first time dear that you have a human shape (spider) |  Maja Bajevic (Bosnien-Herzegowina), Women at Work — Under Construction | Mladen Stilinovic (Serbien)

 


Haus der Kunst
Prinzregentenstraße 1
80538 München

Tagesticket: 12,- Euro

Ostern 2016

Früh aufgestanden. Mit dem Mietwagen unterwegs. Kurzer Stopp in Zwickau. Karfreitagmittag: der erste Spargel in diesem Jahr. Samstagsauflug nach Leipzig: Baumwollspinnerei, Eigen+Art, Ramen bei Umaii, Museum der Bildenden Künste, Eisbecher in der Pinguin Milchbar, Osterfeuer. Ostereiersuchen in der Sonne, dann sonntäglicher Osterkaffee bei Oma. Donauwelle, Aprikosenstreusel, Joghurt-Frucht-Torte. Wörlitzer Park. Back in Berlin.