Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin

Wir haben uns an einem dunklen Wintertag kontemporäre Kunst aus der Sammlung von Friedrich Christian Flick im Hamburger Bahnhof angeschaut.

Im zentralen Raum – der ehemaligen „Wartehalle“ – sind zwei Installationen ausgestellt: Zum einen Paul McCarthys Saloon Theater – Besucher betreten einen Holzbau, der in mehrere Räume unterteilt ist – in den Räumen werden Pornos an die Wände und Decken projeziert, die in der Szenerie von Cowboy-Filmen spielen – die Räume sind niedrig, containerartig – der Boden und die Wände sind schräg – Unwohlsein entwickelt sich schnell.

Zum anderen Richard Jacksons 5050 Stacked Paintings – Bilder befinden sich nicht (mehr) an der Wand sondern sind aufeinander gestapelt, und bilden als ansteigende Wände einen spiralförmigen Gang, der den Besucher zum Zentrum geleitet – die Leinwand wird zur Skulptur – jede Leinwand wurde vom Künstler selbst gefertigt – an einer Stelle findet sich ein hängengebliebener Arbeitshandschuh als Zeuge des Schaffensprozess.

In den anschließenden Hallen finden sich unter anderen diese Werke:

Jason Rhoades, A Few Free Years – in zwei Reihen aufgestellte dröhnende Spielautomaten durch einen schmalen Mittelgang getrennt – Erstaufstellung war 1998 in der Wiener Secession unterhalb des Beethovenfrieses von Gustav Klimt – an einem Baugerüst über den Automaten hängen Einzelteile der Reproduktion des Klimtwerks herum – die Installation spottet dem Freiheitsgehalt/-anspruch der Kunst („Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“).

Dieter Roth/Björn Roth, Gartenskulptur – riesige, eine ganze Halle einnehmende Installation aus unter anderem Pflanzen, Elektronikgeräten, Lebensmitteln, Kleidungsstücken, die er über Jahre hinzufügte – Recycling und Verfall – Kunst als eines sich „fortwährend veränderndes, vergängliches organisches Gebilde“ (Urszula Usakowska-Wolff).

Thomas Schütte, The Laundry – Holzmodelle von Waschmaschinen und über Wäscheleinen gehängte Stoffe mit (Sinn-)Sprüchen – eine alltägliche Situation wird mit Bedeutung aufgeladen.

Katharina Fritsch, Messekoje mit vier Figuren –  religiöse Verehrung trifft auf Konsum –  Waren als quasi-religiöse Gegenstände oder der Glauben als etwas Veräußerbares.

Wolfgang Tillmanns, truth study centre – Kollage aus eigenen Fotos, Auszügen aus Zeitungen, Büchern und anderen Dingen, die auf Tischen gezeigt werden – ausgestellt ist die Macht absoluter Wahrheiten (Dogmen, Fundamentalismus, Ideologie)  – die Ansammlung des Materials lässt vielfältige inhaltliche Bezüge zu: Vielfältigkeit – politisch aktivistische Installation: Wahrheit wird an ihrem Absolutheitsanspruch getestet.

Rodney Graham, School of Velocity: in der Mitte steht ein Flügel, an den Wänden Blätter einer Partitur mit jeweils einer markierten Note – der Flügel spielt Carl Czernys Schule der Geläufigkeit op. 299 – der zeitliche Abstand zwischen den gespielten Noten wird immer größer: Entschleunigung.

Bruce Nauman, Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care –  begehbarer, dreidimensionaler Gang in Form eines Kreuzes – die Installation ist in einer nicht beheizten Halle aufgestellt – die Gänge sind schwach mit orangenen Neonlicht illuminiert – Bewegungen erzeugen blechernen Hall, da die Wände aus Stahl sind – Kälte, Akustik und Dunkelheit bestärken das beklemmende Gefühl.

Joseph Beuys, ich kenne kein Weekend – Reclam-Ausgabe der Kritik der reinen Vernuft von Kant und eine Flasche mit Maggiewürze: eines der vielen Multiples von Beuys -die beiden Objekte stehen in farblicher Korrespondenz (gelb und rot)  – hier im Museum unter Glas ausgestellt, teilweise aber auch im Aktenkoffer: sozusagen Picknickkoffer-  Bedeutungsassoziationen: geistige Würze/Grundnahrungsmittel, Ma(g)gie.

Joseph Beuys, Das Ende des XX. Jahrhunderts – im Raum verstreute Basaltblöcke – Trümmer/Knochen/Leichen – in jeden Basaltblock wurde ein konisches Loch gebort – der Bohrkern wird ausgegleitet mit Lehm und Filz zurückgelegt – Hoffnung durch die Erneuerung eines Teiles.

Joseph Beuys, Unschlitt/Tallow – Fettblöcke, die den toten Raum ausfüllen, der beim Bau einer Fußgängerbrücke in Münster enstanden ist – Fett als essentieller Stoff des Lebens, energiespeichernd und energiespendend, je nach Umgebungstemperatur fest oder flüssig.