Im Restaurant freistoff, Berlin

Der Tipp kam von einer Kollegin: Im August 2016 hätte das Restaurant reinstoff zum ersten Mal eine kurzes Experiment gewagt: Zwei Wochen „ohne Sterne“ ein bisschen experimenteller und freier zu kochen – aus reinstoff wird freistoff. Mit dem Vorteil, dass das Menü damit günstiger war, als im regulären Zwei-Sterne-Betrieb.

Dies würden sie gerade – Ende Februar bis Mitte März 2017 – wiederholen. Diesmal war Großbritannien das Thema der ersten beiden, Indien das der letzten beiden Wochen. Wir reservierten für einen Samstag zum Mittagessen Anfang März und bekamen die Karte mit dem indischen Thema. Die Online-Reservierung klappt ohne Schwierigkeiten.

Mit uns kommen noch einige weitere Gäste an, als wir kurz vor unserer reservierten Zeit um 12.30 Uhr in den Edison-Höfen ankommen. Das Restaurant ist zu knapp zwei Dritteln gefüllt – Paare, Familien und auch Einzelgäste – die Stimmung ist entspannt, deutsch und englisch schwirren gemischt durch den Rau, die Tür zur Terrasse steht weit offen. Draußen ist es sonnig, wenngleich zu kalt, um dort zu sitzen. Wir geben die Jacken an der Garderobe ab, bekommen unseren Tisch gezeigt. Unsere freundliche Servicekraft informiert uns über die Wasserflatrate, die – wie wir später auf der Rechnung sehen werden – mit fünf Euro pro Person deutlich über dem liegt, was wir im Broeding oder im Emma Wolf für Leitungswasser aus der Karaffe gezahlt haben (nämlich nix). Wir verzichten auf den Aperitif und bestellen als Begleitung zum Essen Weißwein: Ich nehme den Müller Thurgau 2014 von Stefan Vetter (Franken), M die Scheurebe Qventera 2014 von Kühling-Gillot. Die Überraschung ist der Müller Thurgau, ein spontan vergorener „vin naturel.“ Er sieht blasstrüb aus, gießt sich fasst wie Sirup ins Glas, schmeckt frisch und fruchtig, schmilzt fast weg im Mund. Perfekt.

Wir bestellen einmal das vegetarische Menü für M, das in vier Gängen kommen wird, sowie drei Gänge à la carte für mich. Als Gruß aus der Küche werden mit Knoblauch geröstete Erdnüsse serviert, direkt danach kommt der Brotkorb, der mit Minzjoghurt und einem Korianderpesto und serviert wird.

Als ersten Gang bekommt M Linsensuppe mit Gewürzpfannkuchen, ich bekomme Geflügelleber, gegrillte Ananas und Tandoori.

Danach geht es im vegetarischen Menü weiter mit einem Kichererbsen-Sandwich, der gefüllt mit Paneer tikka, Gemüsen und Salaten im Wrap kommt. Ich bekomme als zweite Vorspeise in deutscher Aquakultur gezogene Crusta Nova „Indische Garnelen“ mit Melone, Gemüse-Papaya und Safran.

Als Hauptgang habe ich das Kichererbsen-Sandwich gewählt, den M als zweite Vorspeise hatte. Bei ihm gibt es Shakarkandi Ki Chat – Gelbes Gemüse-Curry. Zum Dessert gibt es Espresso für mich und für M das Dessert aus dem Menü, Zitrone und langer Pfeffer – Zitronelle, Baiser und Nimbu Pani:

Fazit: Der Müller-Thurgau und die Geflügelleber als Vorspeise haben die Messlatte so hoch gelegt, dass der Rest des Menüs gar nicht mehr den Versuch machte, drüber zu springen. Jetzt ist die indische Küche sicher nicht die Einfachste, um sie – gemäß der französischen Esskultur – in Menüform für Berlin-Mitte zu bringen (oder wie Gordon Ramsey bei Masterchef zu den Hobbyköchen zu sagen pflegte „The question is: can you elevate the dish?“). Dennoch fanden wir es in Teilen wirklich wenig innovativ (Gemüsecurry) oder handwerklich schlecht gemacht und präsentiert (Teigfladen für den Wrap war deutlich zu trocken und zudem so präsentiert, dass die Komponenten im Inneren völlig untergingen). Schuld können aber auch hohe Erwartungen unsererseits gewesen sein, die regulären zwei Sterne lassen grüßen.

 


freistoff
im Restaurant reinstoff
Schlegelstraße 26c
10115 Berlin
http://www.reinstoff.eu/

4-Gänge (vegetarisch) 40,00 Euro
à la Carte: 8,00-21,00 Euro

Wir beide, inkl. Wasser und Wein: 115,- Euro

Hill Street Tai Hwa Pork Noodle, Singapur

Nicht weit von unserem Hotel befindet sich einer der beiden Hawker Stalls, die seit August 2016 vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet sind: Hill Street Tai Hwa Pork Noodle. Obwohl die Wartezeiten seit der Verkündung sprunghaft nach oben gegangen sein und nun bei einer Stunde liegen sollen, versuche ich heute mein Glück und mache mich auf den Weg zum Abendessen dorthin. Eine erste Erkundung zwei Tage zuvor hatte eine Schlange von neun Menschen um 10.30 Uhr morgens ergeben. Geht doch, denke ich.

Ich komme gegen 20.00 Uhr an und sehe schon von weitem, dass ich Glück habe. Beim Ankommen mache ich 12 Menschen aus, die vor mir warten. Da diese jedoch häufig mehr als eine Portion bestellen dauert es ein wenig länger. Ich bestelle das Gericht, wofür der Hawker Stall bekannt ist: Mince Pork Noodles. Es gibt vier Portionsgrößen, die von 5 bis 10 Singapur-Dollar reichen. Wobei die Portion für 6 Singapur-Dollar als „regular“ angegeben ist. Ich entscheide mich für die 8-Dollar Portion, nehme auch ein wenig Chili in die Sauce, als ich danach gefragt werde, und warte noch ein paar Minuten, bis mein Essen zubereitet wird.

Als ich an den Counter ranrücke sehe ich den großen Kochtopf. Mir steigt der Geruch der Brühe in die Nase und damit eine Vorahnung dessen, was mich geschmacklich erwartet. Das hier ist nicht die gemüseverliebte Küche Thailands und auch nicht die zarte Fischigkeit Japans. Hier gibt es Schwein, das nach Schwein schmeckt. Der Koch hantiert mit Schüsseln und Kellen, schöpft hier, schüttet da um, erwärmt Nudeln, mischt die Sauce an, und schüttet noch zweimal mehr hin und her. Hierin liegt auch der Grund für die Wartezeit. Die Gerichte werden offenbar nach immer der gleichen Art und Weise zubereitet, nichts wurde umgestellt und so hochskaliert, dass mehr Portionen pro Stunde rausgehen können. Die Zubereitung dauert eben so lange wie der Koch mischt und schüttet. Schließlich kassiert er und stellt dann eine kleine Schüssel Suppe sowie eine große Schüssel Nudeln mit Fleisch auf mein Tablett. Ich balanciere es zu einem Platz im Freien und bin nach nicht mal 40 Minuten glückliche Abendesserin.

Das Essen ist mein Referenzpunkt. Es ist das erste Mal in meinem Leben, das ich authentisch chinesisch esse. Ich habe keinerlei Vergleichsmöglichkeit, keinen Anknüpfungspunkt, weder werden Erinnerungen geweckt noch kommen Assoziationen auf. Der Geschmack breitet sich in meinem Gehirn aus, wie auf einem weißen Blatt Papier. Nicht mal der einfachste aller Mechanismen funktioniert: Schmeckt es gut? Ich weiß es nicht.

Daher erst einmal zum Handwerk: Der Hawker Stall serviert bak chor mie, ein ursprünglich chinesisches Nudelgericht, das typisch für Singapur ist. Die Basis bildet eine braune Soße, die aus vier Komponenten zusammengesetzt ist, so viel konnte ich beim Kochen beobachten. Wikipedia erklärt, dass es sich bei den vier Komponenten der Sauce um Chili, Öl, Essig und Sojasauce handelt. Darin werden die dünnen Mie-Nudeln gewschwenkt, die sich – ähnlich wie Vermicelli – zu einem kleinen Nest gruppieren. Obenauf verschiedene Sorten mageres, gekochtes Schweinefleisch: ich erkenne das helle Schnitzelfleich, dünn geschnittene Leberstücke, Fleischbällchen und helle Fleischkrümel, die ich nicht zuordnen kann. Als Topping kommen Frühlingszwiebeln und kleine Fischchips dazu.

Ich empfinde das Gericht als ungewohnt, in einer vollkommen neutralen Art und Weise. Und das ist es genau, was es zum Referenzpunkt für mich macht. Menschen mit deutlich mehr Erfahrung in der chinesischen Küche und einer viel geschulteren geschmacklichen Wahrnehmung haben es einsortiert als „eine sehr gute Küche, welche die Beachtung des Lesers verdient.“ Alles, was ich nun weiterhin aus der chinesischen Küche kennenlerne, kann ich dazu in Beziehung setzen und so langsam mein eigenständiges Geschmacksbild in der asiatischen Küche aufbauen.