Radwandern in San Francisco

Wie ich aus der Ferne mitbekommen habe, kippt gerade in Mannheim der Plan, die große Verkehrsader direkt an der Uni mit einem ordentlichen Radweg auszustatten. Ich rufe deshalb leise aus der Ferne: Nehmt euch ein Beispiel an San Francisco!

Wir radwandern ja schon seit einiger Zeit durch die Stadt. Und obwohl wir im täglichen Verkehr zahlenmäßig eine Randgruppe darstellen, fühlen wir uns eigentlich ganz wohl. Hier ein paar Beispiele wie Fahrradfahrer in San Francisco umsorgt werden: Zu aller erst, ja, es gibt verschiedene nummerierte Fahrradwege, die durch die Stadt führen. Das hätten wir vorher auch nicht gedacht. Und die Fahrradwege sind zum größten Teil sehr gut ausgeschildert. Weiterhin werden teilweise abgetrennt von den Autospuren eigene Fahrradspuren angeboten. Sie sind im satten grün auf dem Asphalt markiert (natürlich grün, die Farbe für Umweltbewusstsein und freie Fahrt ;-)).

Die Autofahrer scheinen nicht wie in Deutschland der natürliche Feind des Fahrradfahrers zu sein (und im Übrigen die Radler wiederum auch nicht diejenigen der Fußgänger). Vielmehr läuft alles recht gemütlich ab. Durch die Rasterstruktur der Straßen kommt man alle hundert Meter an eine Kreuzung, die mit einem Stoppschild versehen verlangt, einen Moment innezuhalten. Als erster darf sich derjenige wieder bewegen, der auch als erster zur Kreuzung kam. Wir Fahrradfahrer indessen können die Kreuzungen gemütlich überrollen, bekommt man doch von jedem Autofahrer mit einer Hand- oder Kopfbewegung signalisiert, dass man gerne den Vortritt lässt. Und nicht häufig ist diese kleine non-verbale Kommunikation mit einem Lächeln verbunden. Wir sind uns allerdings noch nicht klar darüber, was hinter diesem netten Verhalten steckt: ein Eingeständnis, dass man sich doch auch mal etwas umweltbewusster die eine Meile durch die Stadt bewegen könnte; oder aber eine Form der stillen Verachtung: „Fahrt nur ihr armen Irren. Ihr könnt euch wohl kein Auto leisten“.

Wie schon erzählt, hat die Stadt zahlreiche Hügel, wobei jeder für sich teilweise heftige Anstiege hat. Unbedarftes Vorgehen kann schnell damit enden, dass man einen der Hügel mit letzter Kraft hochkeucht, im Vertrauen dann endgültig oben zu sein. Nicht selten gibt die Spitze des Hügels dann aber den Blick auf eine rasante Abfahrt und die nächste Maximalst-Steigung frei. Vorallem das Vorankommen in Ost-West-Richtung ist dadurch erschwert. Mitten in der Stadt wurde deshalb ein Zickzack-Kurs (Wiggle) über mehrere Blöcke hinweg ausgeschildert, der die zu überwindenden Höhenmeter in beide Richtungen fast auf null reduziert. Und damit man auch des Nachts keinen der mehreren Abzweige verpasst, befinden sich lichtreflektierende Markierungen auf der Straße.

Zuletzt kann man sogar sagen, dass die Stadt auch ein wenig stolz auf ihre Radfahrer ist. Heute haben wir auf der Market Street (eine der Hauptverkehrsadern) bemerkt, dass die hier durchkommenden Fahrradfahrer gezählt und mit einem Dank versehen werden. An dieser Stelle sind dieses Jahr wohl schon gut 350.000 Radler vorbeigekommen. Das sind immerhin über 1.000 pro Tag.

Transport

Inzwischen ist man mehr oder weniger hier angekommen und kann nun mal etwas über solch abstrakte Themen wie den Transport erzählen. Nachdem in unseren gemeinsamen ersten Tagen unsere Wohnsituation noch etwas unstet war und das neue Semester in Stanford noch bevor stand, haben wir uns kurzerhand ein Auto geliehen. Heraus kam ein schmuck-sportives Vehikel namens Chevrolet Cruze (sic!). Mit der ersten Fahrt von der Verleihstation zurück zu unserer Bleibe, fühlte man sich ein wenig zum zweiten Mal angekommen – dieses Mal in der automotiven amerikanischen Gesellschaft.

Das sonor-satte Brummen des Motors beim Gas geben, das sich beim automatischen Schaltvorgang um eine geschätzte Terz in der Tonhöhe verringert, bereitet ein wohliges Gefühl der Freiheit, des Selbstbewusstseins – und der Bestätigung meiner Vorurteile über die car nation. Derweil ließen mich Eindrücke schon vorher im Wohnviertel rund um die Universität Berkeley von meiner vorgefertigten Meinung des obsessiv-umweltverschmutzenden Autogebrauchs der Amerikaner ein wenig abrücken: Der Anteil an Toyota Prius (Fahrzeug mit Hybridantrieb) macht ungefähr ein Viertel aus; und ein weiteres Viertel nehmen Volvos ein (und das bei einer gefühlten Autodichte von mindestens einem Fahrzeug pro Haushalt!). Dieser Eindrück hat sich im übrigen bei der Fahrt entlang der Küste nach Norden bestätigt. Weiterhin finden sich in Berkeley sogar Straßen, wo sich explizit ausgewiesen auch Fahrräder am Straßenverkehr beteiligen dürfen. Und die Busse führen gleich dem Bisonfänger einer Wildwest-Lok vorne eine Vorrichtung zum Fahrradtransport mit sich. Apropos Zug: Mit Schrecken habe ich bei einer Recherche feststellen müssen, dass es keine Zugverbindung zwischen San Francisco und Los Angeles gibt: Möglich wäre eine 1-stündige Fahrt mit dem Bus, danach ein Umstieg in eine 6-stündige Zugfahrt, um dann noch mal 2 Stunden mit dem Bus zu fahren. (Und ich dachte, die Siedler hätten den Westen unter anderem auch mit der Eisenbahn erschlossen; na ja, das war dann wohl eher von Ost nach West als von Nord nach Süd.)

Jedenfalls klappt der Transport mit dem Auto wunderbar. Mittlerweile bin ich nun ein paar Mal von Berkeley nach Stanford gependelt (in der Theorie eine dreiviertel Stunde). Man begibt sich lässig noch in der Innenstadt auf eine Fahrtrasse, die den Verkehr mindestens auf drei, meist aber vier Spuren führt, in einem Tempo, das einen an zähfliessenden Teig denken lässt. Trotzdem wird es auf dem meilenweiten Geradeaus nie langweilig: Aus über hundert Radiosendern kann ich von Glen-Miller-Musik der 40er über Jazz, Klassik, Pop-Klassikern zu Heavy Metal und Bluegrass alles haben – sogar die neuesten MLB– und NFL-Berichte. Klänge dringen ab und zu auch von außen an mein Ohr: Beispielsweise wenn einer der Trucks (kein LKW, wir würden Pick-ups sagen) mit seichtem Dröhnen an einem vorbeizieht – wahlweise auf der linken oder auch rechten Spur – und sich für diesen Moment aufgrund deren Höhe ein ausgewachsener Schatten über einen legt (ähnlich den Häuserschluchten von New York?).

Zu sehen gibt es nicht viel. Allerdings kann man sich desweiteren die Zeit mit allerlei lustigen soziologischen Feldversuchen vertreiben: Zum Beispiel die Frage, ob sich die Menschen, die ihre Autos auf der rechten Spur bewegen, von denen unterscheiden, die fünf Spuren weiter links fahren (bin da noch zu keinem endgültigen Resultat gekommen). Oder etwa ökonomische Überlegungen: Wieviel Geld wäre ich bereit einem potentiellen Beifahrer zu zahlen, um dies dann zusammen mit ihm über die Zeitersparnis auf der carpool lane wieder reinzuholen.

Recht spaßig also der Transport in Kalifornien. Da sieht man auch mal schnell über den häufig auftretenden, zähfließenden Verkehr oder sogar Stau hinweg. Und mal ehrlich: Die fünfzig Kurven gepaart mit einer überwundenen Höhendifferenz von mehreren hundert Metern, die man auf jeder Meile der pittoresken Küstenstraße nach Norden überwinden muss, jede Sekunde befürchtend einen der unerschrockenen Fahrradwanderer, die sich die Straße mit einem „teilen“, abzuschießen, sind auch nicht nur positiv für Gemüt und Magen. Jedenfalls wird nun bald mit dem Zug gependelt und auf dem Campus das Fahrrad benutzt.

Verzeichnis der im Text verwendeten Fremdwörter:

  • car nation – wir sind im „Land der Autofahrer“, wirklich wenige Menschen gehen zu Fuß und wir haben bisher immer einen Parkplatz gefunden
  • MLB – heißt Major League Baseball und ist neben
  • NFL– der National Football League zwei der Nationalsportarten in den USA
  • Truck – Auto mit kleinem Fahrerhaus und großer Ladefläche, gerne auch mit übergroßen Rädern unten dran, in Deutschland eher Pick-up genannt
  • carpool lane – reservierte Spur für Fahrzeuge, die mindestens zwei Personen befördern