Wie es ist, nicht zu arbeiten

Mehr als sechs Wochen ist mein letzter offizieller Arbeitstag inzwischen her. Zuvor lagen noch einmal so viele Wochen Resturlaub. Zeit, darüber zu berichten, was ich so treibe und wie es sich so anfühlt ohne Job zu sein.

Arbeitslos bin ich nicht, zumindest nicht im Sinne der deutschen Behörden. Mit meinem Aufenthalt hier gelte ich nicht als arbeitssuchend, ich könnte ja auch gar keine Arbeit in Deutschland suchen, Vorstellungstermine wahrnehmen oder mich bei der Agentur melden. Damit erhalte ich auch keine Arbeitslosenunterstützung. Rein statistisch zähle ich zu den Nichterwerbspersonen, also Menschen im arbeitsfähigen Alter, die aber nicht am Arbeitsmarkt aktiv sind. Um es vorweg zu nehmen: bisher komme ich ganz gut damit klar.

Um mit M mitgehen zu können, musste ich meinen Vertrag auslaufen lassen. Trotz allem Entgegenkommen meines Arbeitgebers und einem erneuten Verlängerungsangebot, wäre es nicht möglich gewesen, fünf Monate am Stück vom anderen Ende der Welt aus zu arbeiten. Das passte zu meinem Gefühl, dass meine Zeit in der Wissenschaft fürs Erste zu Ende ist. Geahnt hatte ich das schon eine Weile, aber seit unsere Pläne konkreter wurden, habe ich daran nicht mehr gezweifelt.  Meine Talente liegen woanders und ich brauche ein Umfeld, wo ich sie einsetzen und weiterentwickeln kann. Ich nahm das Ende meines Vertrags zum Anlass, den Absprung aus der Wissenschaft zu wagen. Und, bisher fehlt sie mir nicht.

Der erste Monat, September, war geprägt von Orga. Ausstand, Reisevorbereitungen, Flug, Ankunft, Wohnungssuche, Wohnungsüberbrückung, die Tage am Meer und Einzug in unser jetziges Appartment. Im Oktober kamen dann alle weiteren Dinge hinzu, die es zum Heimischwerden in der neuen Stadt braucht: Konto, Mobilfunkvertrag, Einkäufe für die Wohnung, in der neuen Stadt umherlaufen, die Heimat auf Zeit kennenlernen. Sich bei allen lieben Menschen melden, die zu Hause sind und uns gut aufgehoben wissen wollen. Es war keine Arbeit, aber Urlaub war es auch nicht. Rückblickend kam mir alles wie eine lange To-Do-Liste vor. Beim Aufstehen morgens musste ich nur noch überlegen, welche Punkte ich heute in Angriff nehmen will. Sport ist im November dazu gekommen. Nicht weit von unserem Haus gibt es eine öffentliche Sportstätte, in der mittwochs bis freitags verschiedene Kurse von Fitness über Pilates bis hin zu Yoga angeboten werden. Durch die probiere ich mich gerade durch.

Die größte Veränderung ist, dass mir der – nennen wir ihn mal –  „Achtstundenblock“ zur Strukturierung des Tages fehlt. Als ich noch morgens ins Büro und abends nach Hause ging, konnte ich tagsüber nur sehr sporadisch andere Dinge erledigen oder Termine wahrnehmen. Daraus ergab sich eine irgendwie natürliche Priorisierung. Erst Arbeiten und in der Zeit, die übrigbleibt, Lebensorga und Freizeit. Das war schon in der Schule so, auch das Studium war ein Vollzeitjob und die Diss sowieso. Nur jetzt ist alles anders.

Plötzlich fehlt der Achtstundenblock und mit ihm diese Priorisierung. Die Lebensorga konnte einen viel größeren Raum einnehmen. Zusammen mit der neuen Umgebung führte das dazu, dass ich einfach mehr Zeit aufwenden konnte (und teilweise musste), für die alltäglichen Dinge wie Lebensmittel einkaufen, kochen, backen, waschen. Zum anderen, habe ich manche Dinge auch deutlich intensiviert, M würde vielleicht sagen verkompliziert. Ich konnte auf Craigslist – dem Ebay von San Francisco – einfach so lange nach Mixern suchen, bis ich mein Wunschgerät gefunden hatte. Ich konnte anfangen, Brot zu backen, anstatt es zu kaufen. Ich konnte jede Woche einen Kuchen oder Kekse backen. Ich kann online vorher Bewertungen für die „besten Adressen, um in San Francisco ein Kleid zu kaufen“ recherchieren, anstatt mich einfach in den Bus zu setzen, und in die Stadt zu fahren.

(Einschub: Im Nachhinein stellte sich das als viel einfacher heraus. Ich war nämlich tatsächlich erst einmal in die Stadt gefahren, um Macy’s, Bloomingdale’s & Co. einen Besuch abzustatten. Die Kleiderabteilungen kann man sich ungefähr vorstellen, wie die im Peek & Cloppenburg, nur dreimal so groß und fünfmal so plüschig. Und ich war da völlig falsch. Bei dem bei Yelp gefundenen Laden hingegen, handelte es sich um ein wirklich gut sortiertes, kleines Geschäft im mittleren Preissegment, wo sich Laura aufmerksam, aber nicht aufdringlich, meiner annahm.)

Hauptsächlich nutze ich die Zeit momentan also tatsächlich anders. Die BWLerin in mir stellte letzte Woche fest, dass ich die Fertigungstiefe deutlich erhöht habe. In unserem Vorratsschrank und Kühlschrank finden sich momentan ziemlich viele Produkte, auf deren Zutatenliste nur ein Bestandteil steht. Rohstoffe sozusagen. Mehl, Bohnen, Reis, Kartoffeln, Gemüse. Und die werden vorbereitet, gekocht, gerührt, gemixt, gebraten und dann irgendwann zu Mittag oder Abend gegessen. Das dauert nicht zwingend länger, als mit fertigen (Vor-)Produkten. Ist halt einfach ein bisschen komplexer und braucht manchmal ein wenig mehr Vorlauf. Und ersthaft, gerade genieße ich das. Deswegen gibt es hier auch ständig Rezepte zu lesen. Ich fröhne meinem Dasein als Hausfrau.

Das Blog kriegt auch ein paar Stunden in der Woche ab, Fotos sortieren, verkleinern, hochladen einbinden, Texte schreiben, manchmal hier und da was an den Titelbildern oder der Struktur schrauben. Wie stellte Bodo letztens so treffend fest:

Ich merke schon, jetzt wo das Grundgeruest des Blogs steht, geht das Blogschreiben etwas schneller. Dennoch bin ich beeindruckt von den vielen teilweise zeitintensiven Schritten, bis so ein Eintrag steht. Erst muessen all die (viel zu vielen) Fotos auf der Kamera gesichtet und dort bereits schlechte Schnappschuesse geloescht werden. Dann folgt die Auswahl der Bilder, von denen es dann auch nur eine zweite Auswahl in den Blog gibt. Diese Fotos muessen dann hochgeladen, zum Teil gedreht, skaliert, zentriert und natuerlich beschriftet werden.

Außerdem stehen Bücher und Filme gerade hoch im Kurs, weil es inzwischen abends früher dunkel wird. Und natürlich immer wieder Erkundungen. In der Stadt, raus aus der Stadt, um die Stadt herum.

Erst jetzt, nach fast drei Monaten nicht arbeiten, fühlt es sich nach einer Pause an. Nach einem Wochenende, das nicht endet. Oder auch wie Urlaub. So langsam entspannt sich mein Gehirn von der Vorstellung, jeden Tag etwas schaffen und einen Punkt auf der To-Do-Liste abhaken zu müssen. Eigentlich eine sehr schöne Zeit gerade. Um den Umzug muss ich mich nicht mehr kümmern. Um die Zukunft muss ich mich noch nicht kümmern.

Ich war jedoch erstaunt, wie lange es gedauert hat, bis ich in diesem Zustand ankam. Naja, wir sind zum ersten Mal zusammengezogen, dafür umgezogen und in einem anderen Land angekommen. Vielleicht konnte das nicht schneller gehen mit dem entspannten Loslassen.