Gelesen – gesehen – gehört #3

Literatur zu Luthers Zeit

Mit dem 31. Oktober endeten so langsam die Feierlichkeiten und öffentlichen Erinnerungsbekundungen anlässlich der 500. Jährung der Thesenpublikation Luthers. Viel ist in diesem Lutherjahr anhand von alten und auch neu erschienenen Büchern über seine Person und die Auswirkungen der Reformation debattiert worden.

Luther und die Reformation werden nunmehr schon seit mehr als 100 Jahren als ein wichtiges Stück nationaler Geschichtserinnerung hervorgehoben. Sicherlich betonen die diesjährigen Feierlichkeiten den nationalen Charakter nicht so sehr, die Größe des Ereignis ist aber geblieben. Was ist aber mit der Rückbesinnung auf die Zeit, in der Luther gewirkt hat und in der sich reformatorische Ideen verfestigt haben? Erinnerungswürdig sind die Zeitumstände allemal, in der die Gesellschaft im Umbruch war: weg von dem uns heute weniger verständlichen, dunkel scheinenden Mittelalter hin zur sogenannten Neuzeit, in der uns durch viele Beispiele der Geschichtsschreibung der uns bekannte moderne Mensch entgegen tritt.

Luthers Biographie bettet sich ein in die Zeit der geographischen Entdeckungen, die mit der gleichzeitig aufkommenden Geldwirtschaft ein globales Handelsystem auf den Weg bringen. Auch im Bereich der Wissenschaft zeigen sich Veränderungen, die noch heute die Grundbedingungen unserer rationalen Weltanschauung bestimmen. Die Humanisten brechen die in Dogmen verhafteten theologischen Diskussionen der Scholastik auf und entwickeln durch den literarischen Bezug zu Klassikern – erst lateinischer dann auch griechischer und hebräischer Art – die Literatur- und Sprachwissenschaft. Alchemisten und Bader lösen sich immer mehr vom abergläubischen Denken und bringen die ersten Chemiker und Ärzte hervor, die ihr Denken auf experimenteller Beobachtung und freigeistigen Untersuchungen gründen. Auch die Astronomen gehen so vor, um neue Weltbilder zu enwerfen, und sind in ihrem Streben gleichfalls der bittersten Verfolgungen durch die Obrigkeit ausgesetzt. Die Wirkungen – ob positiv oder negativ – von neuen Ideen und Erkenntnissen werden durch die Medienrevolution im Gefolge der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern massiv verstärkt. Eine – wenn auch noch auf gebildete Kreise begrenzte – Öffentlichkeit entsteht, die zeitnah die neuesten Entwicklungen miteinander austauscht.

Wen diese Zeit interessiert, dem seien die zwei folgenden Bücher empfohlen, die Fiktion geschickt mit historischen Fakten verbinden:

Marguerite Yourcenar: Die schwarze Flamme, erzählt das Schicksal eines freidenkenden Atheisten, der zwischen Philosophie, Medizin und Alchemie seine Stellung in der damaligen Welt sucht; der Roman verwebt mit der beschriebenen Entwicklung des Protagonisten eine Vielzahl von historischen Fakten, die die Autorin in einem Nachwort samt Quellen offen legt.

Luther Blissett: Q, handelt von den Katastrophen des Bauernkriegs und des Täuferreichs in Münster und zeigt anhand von Spionagetätigkeiten, wie klein Europa zu diesem Zeitpunkt schon war; interessantes Detail am Rande: hinter der Autorschaft Luther Blissett verbirgt sich ein Autorenkollektiv, was einen unwillkürlich an die Verschwörungstheorien in Umberto Ecos Foucaultschen Pendel erinnern lässt.

Wer sich für Biographien wichtiger Protagonisten der Zeit interessiert, dem seien drei Bücher aus den 20er Jahren ans Herz gelegt, die zwar dem Geist dieser Zeit verhaftet sein mögen aber detailreich und immer noch gut lesbar sind.

Lucien Febvre: Martin Luther, 1928, das sich auf recht kontroverse Art mit den Beweggründen und der dahinterliegenden Psyche Luthers beschäftigt.

Ernst Bloch: Thomas Müntzer als Theologie der Revolution, 1921, stellt die radikal-revolutionäre Person des Bauernführers Thomas Müntzers vor in einer politisch und philosophisch linksgerichteten Schreibtradition.

Johann Huizinga: Erasmus und Luther – Europäischer Humanismus und Reformation, 1928, beschreibt das Leben der schillernden, damals höchstbedeutenden Figur des Erasmus von Rotterdam, den man heute nur noch als den Humanisten schlechthin kennt dessen Werke aber so gut wir keiner (mehr) liest.

Auch „unsere“ Klassiker haben einige Werke verfasst, die in dieser Zeit spielen:

Johann Wolfgang von Goethe: Götz von Berlichingen, über den gesellschaftlichen Niedergang des Rittertums.

Johann Wolfgang Goethe, Faust der sich an der Person des Alchemisten und wandernden Heilers Doktor Faustus orientiert.

Johann Wolfgang Goethe: Egmont, über den Freiheitskampf der Niederlande.

Johann Wolfgang Goethe: Torquato Tasso, über den bekannten Dichter der Gegenreformationszeit.

Friedrich Schiller: Don Karlos, über Konflikte im damals machtvollen spanischen Herrscherhaus.